Irgendwann Holt Es Dich Ein
weshalb Hattie sich das Leben genommen hatte.
»Behalte sie, Kate«, sagte Rosemary Fox. »Trage sie und denk an Hattie. Ich habe übrigens noch etwas für dich.«
Kate schüttelte den Kopf, um die Erinnerungen zu vertreiben. Hatties Mutter hielt ein Foto in der Hand. »Ich dachte, das möchtest du vielleicht haben. Es ist das einzige Bild, das ich von dir und Hattie zusammen finden konnte.«
Kate nahm das Foto und betrachtete es. Es war alt und an den Rändern verkrumpelt, der rechte Rand war ganz abgerissen. Sie erkannte sofort, wo es aufgenommen worden war: auf dem College in Cambridge, wo sie ein Wochenendseminar besucht hatten. Hattie und sie hatten einander die Arme um die Schultern gelegt und lächelten in die Kamera. Neben ihnen standen Susan und Serena, die nicht lächelten, weil sie cool wirken wollten. Der Riss am rechten Bildrand deutete darauf hin, dass mindestens eine weitere Person auf dem Bild gewesen sein musste. Kate vermutete, dass es eingerissen war, als es vielleicht zu ungeschickt aus einem Album gelöst wurde.
»Danke«, sagte sie und zögerte. »Ich rede mit Neil. Wir ... melden uns bei Ihnen.« Ihre Worte klangen schrecklich formell, aber sie wusste einfach nicht, was sie sonst hätte sagen können.
SIEBEN
Kate wühlte in ihren Kleidern und überlegte angestrengt, was sie zu Harriet Fox' Trauerfeier anziehen sollte. Neil saß in seinem anthrazitfarbenen Anzug, dem Standardanzug für ernste Anlässe, auf dem Bett und beobachtete sie. Er gab sich redlich Mühe, nicht zu lachen, wusste er doch, dass es nicht bloß wenig hilfreich wäre, sondern auch denkbar unangemessen. Trotzdem entbehrte es nicht einer gewissen Komik, wie seine sonst wunderbar pragmatische, kompetente Frau - inzwischen leider auch entfremdete Frau, ja, verdammt - sich in helle Aufregung steigerte, weil sie nichts zum Anziehen fand. Auf dem Bett lagen bereits etliche Hosen und Röcke verstreut, die vollkommen geeignet wären, aber dennoch aus unerfindlichen Gründen verworfen worden waren. Und nun stand sie in einem dunklen, rötlich braunen Wickelkleid vor ihm, von dem er sich nicht entsann, es vorher schon mal gesehen zu haben. Kate hatte es aus irgendeiner versteckten Ecke ihres Kleiderschranks ausgegraben, und, bei Gott, das Kleid machte ihn scharf. Was ebenfalls wenig hilfreich und denkbar unangemessen war.
Seit dem schrecklichen Ereignis vor einer Woche kam Neil sich ausgesprochen nutzlos vor. Er wusste schlicht nicht, was er tun sollte. Nein, er wusste nicht, was er tun durfte. Und er wusste nicht, was in Kate vorging oder warum.
Letztes Wochenende, als sie ihm großzügig gestattete zu bleiben, war er hilflos herumgetapst und hatte versucht, sich nützlich zu machen. Er hatte ihr Kaffee gekocht, den sie eindeutig nicht wollte. Mit ihrem Kaffee war Kate sehr eigen. Neil trank problemlos Instantkaffee, aber Kate hatte es gern exklusiver; sie mochte nur die arbeitsintensivere Variante. Sie mahlte ihre Bohnen gern selbst und benutzte die sündhaft teure italienische Espressomaschine in Chrom und Rot, die er ihr letzte Weihnachten geschenkt hatte (auf ihre Anweisung hin), um sich dicke braune Brühe zu kochen. Rein theoretisch wusste Neil, wie der Apparat funktionierte, und er hatte versucht, Kates Bedürfnisse zu erahnen, indem er ihr Kaffee brachte, wann immer sie besonders niedergeschlagen schien. Aber ihm war klar, dass er irgendetwas nicht ganz richtig gemacht hatte. Das erkannte er an der etwas zu bemühten Art, in der sie »Danke. Der ist köstlich« sagte, als würde sie die Worte für einen albernen Fernsehwerbespot üben.
Sein Versagen an der Kaffee-Front war natürlich nur ein Symptom ihrer gegenwärtigen Unfähigkeit, miteinander zu kommunizieren. Neil hatte sowieso nie begriffen, was in ihrer Ehe eigentlich schiefgegangen war; umso ratloser machte ihn, dass sich Kate nun sogar noch abgelenkter, distanzierter und zugeknöpfter gab als sonst. Ihm war klar, dass sie unter Schock stand oder zumindest an den Nachwirkungen des Schocks litt. Fachleute würden wahrscheinlich von posttraumatischem Stress reden, und Neil hatte hinreichend Traumafälle gesehen, um zu wissen, wie übel das sein konnte. Vermutlich hatten sie Kate sogar Hilfe angeboten bei der Polizei oder im Krankenhaus, doch das erwähnte sie natürlich mit keinem Wort. Vor einigen Wochen erst hatte Neil ihr erfolglos vorgeschlagen, dass sie zu einem Paartherapeuten gehen sollten; sicher würde er nicht so blöd sein, ihr nun zu einer
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