Irgendwann Holt Es Dich Ein
Traumatherapie zu raten. Lieber würde Kate sich eine Gabel ins Auge stechen, als zuzugeben, dass sie bei irgendetwas Hilfe brauchte.
Der einzige Grund, weshalb Neil mit ihr zur Trauerfeier ging, war der, dass sie seine professionelle Hilfe wollte. Kate hatte ihn angerufen, um mit ihm über Hattie Fox zu sprechen. Anscheinend hatte Hatties Mutter gefragt, ob er sich diese bizarre Geschichte einmal näher ansehen könne: Angeblich hatte irgendein boshafter Stalker der Schauspielerin nachgestellt, sie in die Trunksucht und mithin letztlich in den Tod getrieben. Jedenfalls war das die Quintessenz. Neil war vorbeigekommen, hatte zugehört und kluge Fragen gestellt: Wie lange ging das Ganze schon? Waren die Päckchen ins Fernsehstudio oder nur an Hatties Privatadresse geschickt worden? Kate räumte ein, dass sie es nicht wusste, weil sie nicht daran gedacht hatte, Hatties Mutter zu fragen. Neil hatte die Nähe genossen, als sie miteinander redeten, und so sagte er aus reinem Egoismus zu, nämlich um mehr Zeit mit Kate zu verbringen. Außerdem musste er zugeben, dass es sich nach einer möglicherweise interessanten Geschichte anhörte.
An dem Abend hatte ein Foto auf dem Couchtisch gelegen, ein altes Bild, das er noch nie zuvor gesehen hatte. Es zeigte Kate in Teenagerjahren, zusammen mit einigen anderen Mädchen. Neil hatte es sich angesehen. »Du siehst hübsch aus«, hatte er gesagt. »Sehr fröhlich. Ja, richtig niedlich.«
Kaum hatte er es ausgesprochen, wurde ihm bewusst, dass er das Falsche gesagt hatte. Die junge Kate auf dem Foto hatte noch den Babyspeck der Pubertät, ebenjenen Babyspeck, den sie über Jahre mit schierer Willenskraft bekämpft und verloren hatte, bevor sie sich zum ersten Mal begegneten. Er merkte, wie sie sich anspannte und eine scharfe Erwiderung vorbereitete, deshalb war er rasch ausgewichen, indem er den zerrissenen Rand des Fotos ertastete und fragte: »Wer fehlt denn da?«
Kate schaute genauer hin. »Ach, niemand Wichtiges. Jedenfalls keines der Lady-Jane-Mädchen.« Und dann hatte sie gelacht, wundervoll glockenhell und klar. »O mein Gott! Das ist so Lady-Jane-mäßig von mir! Diese Bemerkung hätte auch von Serena kommen können. Ich habe damit eigentlich bloß gemeint, dass ich die Person auf dem Bild nicht kannte und sie auch für dich uninteressant ist. Sie hatte nichts mit Hattie zu tun ... oder mit mir.«
Neil legte das Foto wieder auf den Couchtisch und wandte sich zu Kate. Dann streckte er die Hand aus, berührte ihr Haar und strich es ihr sanft aus dem Gesicht. »Alles okay?«, fragte er.
Kate nickte und legte ihre Hand über seine, sodass ihre Finger für einen Moment miteinander verwoben waren. Gleich darauf wurde ihr wohl bewusst, was sie tat, denn plötzlich zog sie ihre Hand wieder zurück. »Entschuldige«, sagte sie. »Das wollte ich nicht.«
Wenn Neil doch nur eine Ahnung hätte, wie es zum Bruch gekommen war! Was hatte die Trennung ausgelöst? Lag es daran, dass Kate nicht mit ihm reden wollte? Oder weil sie so unzufrieden mit ihrem Job war? Schon seit Monaten hatte er ihr geraten: »Wieso schmeißt du nicht einfach hin? Reich deine Kündigung ein, und such dir was anderes!«
»Es herrscht gerade eine Rezession, falls dir das entgangen sein sollte.«
»Na und? Wir können es uns leisten, für eine Weile auf dein Gehalt zu verzichten. Nein, im Ernst, wenn du eine Auszeit brauchst, nimm dir eine.« Neil verstand Kates Karrierebesessenheit nicht. Wieso musste sie sich unbedingt in diesem mittlerweile ziemlich bescheidenen Job beweisen? Und in dem Augenblick hatte er einen fatalen Fehler begangen, wie er nun wusste. »Geht es hier vielleicht um etwas ganz anderes?«
»Was sollte das sein?« Da war dieser gefährlich angespannte Unterton gewesen, der ihm signalisieren sollte, sich lieber zurückzuhalten, und Neil hatte wider besseres Wissen nicht darauf gehört.
»Geht es um diese Kindersache?«
Ja, das hatte er Kate tatsächlich gefragt. Und damit war er geradewegs in »den Sumpf« gestolpert. Natürlich war ihre Reaktion eisiges Schweigen gewesen. Neil war nicht sicher, ob Kate stumm weinte, wie sie es manchmal tat. Man konnte es lediglich an ihren bebenden Schultern erkennen. Aber nein, sie weinte nicht. Sie war einfach bloß stumm. Und dann kam die Äußerung - vollkommen ruhig, sachlich, als mache Kate sie aus rein akademischem Interesse: »Ich weiß nicht, warum wir überhaupt noch verheiratet sind.«
Nun betrachtete Neil seine Frau, die in ihrem
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