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Irgendwann Holt Es Dich Ein

Irgendwann Holt Es Dich Ein

Titel: Irgendwann Holt Es Dich Ein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Hill
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Vergangenheit blicken. »Ganz ehrlich? Ich war begeistert. Ich wollte so dringend auf die Lady Jane, dass ich es beinahe schmecken konnte. Wir wohnten damals nur wenige Kilometer entfernt, also hatte ich die Mädchen von der Lady Jane oft im Bus oder in der Bahn gesehen, mit ihren Lacrosse-Schlägern und ihren Strohhüten, und auf mich wirkten sie unglaublich toll und aufregend wie aus einem Enid-Blyton-Buch. Ich stellte mir vor, dass sie eine elegante, strenge, aber faire Direktorin hatten, eine Mademoiselle, die von allen geneckt wurde, und natürlich Mitternachtspartys. Ich wusste zwar, dass es kein Internat ist, aber trotzdem ... Ich dachte, ich würde in eine vollkommen neue Welt eintreten. Und ich glaubte, dass sie mich mit offenen Armen empfangen würden.«
    »Was sie nicht taten.«
    »Nein, das taten sie nicht.«
    Neil entging nicht, dass ihre Stimme zu kippen drohte. »Erzähl weiter.«
    »Ich hatte den falschen Rock«, sagte sie achselzuckend.
    »Wie meinst du das?«
    Kate schaute sich um, als würde sie sich erstmals ihrer Umgebung bewusst. Sie waren in einem Klassenzimmer im Altbau des Schulgebäudes. Drei hohe Fenster gingen zur schmalen Straße, in der lauter viktorianische Häuser standen. An einer Wand am Ende des Raumes hing eine altmodische Tafel, die vermutlich aus Traditionsbewusstsein oder Nostalgie bleiben sollte, während der Rest modernisiert worden war. Die Bestuhlung war dieselbe wie in Uni-Hörsälen. Die Tische hatten eigens Fächer für einen Laptop und waren auf ein Whiteboard an der Wand gegenüber der Tafel ausgerichtet. Alles war blitzsauber und hochmodern. Neil hätte nichts dagegengehabt, in solch einem Klassenzimmer unterrichtet zu werden. »Nicht hier«, sagte Kate. »Komm mit.«
    Kate führte Neil einen Korridor entlang über knarrende Holzdielen, die Treppe hinauf zu einem Zwischengeschoss und um die Ecke zu einer weiteren, noch engeren Wendeltreppe. Auf halber Höhe war eine Tür, die Kate öffnete. »Auf der Lady Jane war es üblich, die Türen unverschlossen zu halten. Man sagte uns bloß, dass es Räume gibt, in die uns der Eintritt nicht gestattet war, und erwartete, dass wir uns daran hielten. Verschlossene Türen entsprachen nicht ›dem Schulethos‹, wie es hieß.« Wie verbittert sie klang!
    Während sie weiter die Treppe hinaufgingen, gaben schmale Fenster den Blick auf rote Ziegelmauern, verschachtelte Schornsteine und Dachschindeln frei. Oben an der Treppe öffnete Kate wieder eine Tür, und Neil folgte ihr in einen kleinen, weiß gestrichenen, modernen Raum.

SECHZEHN
     
    Natürlich war alles anders. Die ganze Schule hatte sich verändert, wirkte sauber, technisch aufgerüstet, klinisch rein geradezu. Dennoch schauderte Kate, als sie sich in dem Zimmer mit den weiß gestrichenen Wänden und dem frisch versiegelten Holzboden umsah; offenbar ein Musikraum: In einer Ecke stand ein Klavier und drum herum überall Notenständer. Alles sah frisch und einladend aus. Sogar ein neues Gaubenfenster war eingebaut worden, von dem man auf die roten Ziegelschornsteine und das viktorianische Schindeldach der Schule blickte. Trotzdem überkam Kate ein kaltes, klammes Gefühl.
    Einst war dieses Zimmer einer ihrer Zufluchtsorte gewesen. Damals diente es noch als Kostümkammer der Theatergruppe, ein kleiner Raum voller Garderobenständer mit Kleidern. Unzählige Wämser und Kniebundhosen hingen hier, für den unvermeidlichen Shakespeare, der einmal jährlich gegeben wurde. Gigantische Pappmaché-Köpfe für eine Dramatisierung von Alice im Wunderland . Stiefel, Schuhe, Kleider und Mäntel, die allesamt den Geruch pubertierender Mädchen trugen, weil sie zwischen den Aufführungen nur dürftig oder gar nicht gereinigt wurden, ehe sie wieder für ein Jahr in der Dachkammer verschwanden.
    Kate erinnerte sich sehr gut an den Geruch und wusste bis heute noch, wie sich die Kleider angefühlt hatten, hinter denen sie sich verkroch. Sie hatte nicht vergessen, wie sie in einer Ecke hinter einem üppigen goldgrünen Kleid mit Reifrock aus seidig knisterndem Taft gekauert hatte. Sie hatte den Stoff zwischen den Fingern gerieben wie eine Schmusedecke. Manchmal hatte sie hier die ganze erste Pause oder sogar die Mittagspause mit einem Buch ausgeharrt, nur sie und das knisternde Taftkleid, das sie vor der Welt schützte.
    Sie hatte vorgehabt, Neil das Kleid zu zeigen, damit er den festen Stoff berühren und verstehen konnte, was er ihr bedeutet hatte. Aber stattdessen standen sie in einem

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