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Irgendwann Holt Es Dich Ein

Irgendwann Holt Es Dich Ein

Titel: Irgendwann Holt Es Dich Ein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Hill
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hübschen, ordentlichen, gut beleuchteten Musikraum, und Neil wartete auf Antworten. Doch es gab noch einen Platz, den sie ihm zeigen konnte. Sie hatte ihn entdeckt, als sie älter, wagemutiger und verzweifelter wurde.
    Die Tür, die von dem kleinen Musikzimmer abging, war neu, eine schwere Feuerschutztür, die jedoch immer noch zum selben Platz führte: geradewegs hinaus aufs Schuldach. Und hier war noch die Stelle, an der man aufrecht stehen konnte, ein kleiner Absatz zwischen zwei Schornsteinen. Von oben konnte man drei Stockwerke tief auf den Schulhof herunterblicken und sich unbesiegbar fühlen. Kate war sich immer ziemlich sicher gewesen, dass sie von unten niemand sehen konnte, denn der Absatz war teils hinter Schornsteinaufsätzen verborgen, und wer würde sie schon auf dem Dach suchen? Hier war Kates geheimer Platz gewesen, wo sie sich unentdeckt vor allen verbergen konnte.
    Und nun stand sie hier, hielt sich im schneidend kalten Dezemberwind am Schornstein fest und versuchte, Neil die Geschichte mit dem Rock zu erklären, während er sich neben ihr halb in die Hocke kauerte.
     
    »Ich hatte den falschen Rock. Vom allerersten Tag an war ich anders, fehl am Platze und verwundbar. Der Chandler-Nachlass zahlte zwar meine Schulgebühren, übernahm aber nicht die Kosten für die Schuluniform. Es gab einen offiziellen Ausstatter für Schulbekleidung, ein vornehmes Geschäft, in das alle gehen sollten, um sich fürs Schuljahr einzukleiden. Aber meiner Mutter war das zu teuer. ›Wir brauchen einen dunkelblauen Rock‹, sagte sie, ›und den kriegen wir auch beim Co-op.‹ Er sah auch fast genauso aus wie der Rock von der offiziellen Schuluniform. Nur hatte er vier Stoffbahnen anstelle von sechs, sodass der Saum an der falschen Stelle saß.« Sie lachte, obgleich es alles andere als witzig gewesen war.
    »Und deshalb haben sie dich geärgert?«
    »Geärgert?« Das Wort erschien ihr gänzlich unangemessen. »Das war der Anfang, Neil. Es war das Zeichen, dass etwas anders war. Natürlich hätte ich nach Hause gehen und es meiner Mutter erzählen können, hätte sie anflehen können, mir den richtigen Rock zu kaufen, vielleicht im Secondhandladen für Schulbekleidung. Aber dann hätte sie gewusst, dass etwas nicht stimmte, und sie war so aufgeregt, so stolz, dass ich den Platz an der Lady Jane bekommen hatte. Ich wollte ihr nicht die Illusionen rauben. Und es war auch nicht bloß der Rock. Ich redete anders, falsch. Ich sagte Klo statt Toilette, Couch statt Sofa. Und ich hatte Anspruch auf freies Schulessen, als einziges Mädchen in meinem Jahrgang. Die Leiterin der Schulkantine setzte mich an einen Extratisch, hinten in der Ecke, zusammen mit den beiden anderen Mädchen, die ebenfalls das Essen umsonst bekamen. Folglich dauerte es nicht lange, bis jemand herausfand, dass ich das Chandler-Mädchen war, das Mädchen, das ein besonderes Stipendium hatte. Danach gab es kein Entrinnen mehr.«
    »Was haben sie dir angetan? War es schlimm?«
    Kate schüttelte sich. »Ja, es war schlimm.« Eine Weile stand sie da und überlegte, wie sie Neil erklären sollte, wie es gewesen war und was die subtilen Quälereien aus ihr gemacht hatten. »Ich stand hier draußen auf dem Dach und habe mir gewünscht herunterzustürzen.«
     
    Kate stand inzwischen an der Dachkante. Neil wollte nach ihr greifen, sie in die Arme nehmen, aber er traute sich nicht, hastige Bewegungen zu machen. Sie sah so zerbrechlich und verwundbar aus. Ihr leuchtend grüner Mantel stand offen und flatterte im scharfen Wind. Einzelne Haarsträhnen hatten sich aus ihrem Zopf gelöst und peitschten ihr ins Gesicht. In ihr blasses, trauriges Gesicht. Neil hatte plötzlich das Gefühl, seine eigene Frau gar nicht mehr zu kennen. Er liebte sie, mochte sie von Herzen, bewunderte, respektierte und begehrte sie, aber er kannte sie nicht.
    »Schatz, komm her, bitte!«, flehte er sie an, von der Kante zurückzutreten. »Bitte, komm zurück! Du machst mir Angst.«
    »Verstehst du? Ich wollte fallen. Ich stand hier, genau hier, und beobachtete die anderen unten auf dem Schulhof. Und dabei habe ich gebetet, dass eine Windböe kommt, die mich vom Dach bläst, dass sich ein Stein lockert oder irgendwas passiert, damit ich das Gleichgewicht verliere. Ich wäre nicht gesprungen. Dazu fehlte mir der Mut, oder ich war nicht feige genug, was auch immer. Aber ich dachte, wenn ich nur lange genug hier stehe, falle ich am Ende. Und dann würden alle, alle Schüler und Lehrer, mich sehen.

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