Irgendwann Holt Es Dich Ein
ihm die Geschichten von dem Geschenkkorb und dem Elternforum erzählte. Nicht dass er ihr nicht geglaubt hätte; er hatte sich lediglich gefragt, ob sie vielleicht übertrieb oder schlicht paranoid reagierte. Doch die toten Babys in den Särgen - das würde seine Frau weder sich selbst noch ihm antun, auf keinen Fall. Und deshalb musste er herausfinden, wer dahintersteckte.
Neil hatte Richard Taylor auf Anhieb unsympathisch gefunden, als er ihn vor zwei oder drei Jahren bei einer Weihnachtsfeier von Warm FM kennenlernte. Vielleicht lag es an der stacheligen Gelfrisur, die an einen gescheiterten Popstar der frühen Neunziger erinnerte, an dem einzelnen Ohrring oder an der Tatsache, dass er sich wie ein typischer Radio-DJ gab, den man in eine Managerrolle gezwängt hatte. Es konnte allerdings auch an der bevormundenden, schnöseligen Art gelegen haben, die er Kate gegenüber bei der Party an den Tag gelegt hatte. Sie hatte kurz nach ihrem Wechsel in die Vormittagsmoderation stattgefunden. »Da ist sie ja«, hatte Richard gesagt, als Neil und Kate auf der Weihnachtsfeier ankamen. »Unser aller Superstar vom Vormittag!«
Jetzt saß Neil in Richards Büro, wo er warten musste, während der stachelhaarige Idiot vorgab, wichtige Telefonate zu führen. Schließlich legte Richard den Hörer auf, drehte sich zu seinem Computer, blickte stirnrunzelnd auf den Monitor und tippte etwas ein. Erst nachdem er Neil vorgeführt hatte, was für ein unglaublich gefragter Manager er war, ließ er sich dazu herab, mit ihm zu sprechen. Neil versuchte, sich seinen Ärger und seine Abneigung nicht anmerken zu lassen, denn dieses Gespräch könnte nützlich sein. Vielleicht konnte Richard ihm einen Tipp geben, wer das scheußliche Paket geschickt hatte.
»Gleich vorweg: Ihre Frau ist gefeuert, klar? Nicht aufzukreuzen ist bei uns ein Grund für fristlose Kündigung. Dass Sie mich angerufen haben, ändert rein gar nichts, und Ihr Anruf kam sowieso zu spät. Außerdem hätte Kate sich bei mir melden müssen. Sie fehlt schon zwei Tage. Ich habe versucht, sie anzurufen, aber sie geht nicht an ihr Handy und hat nicht ein einziges Mal versucht, mich zu erreichen. Damit verstößt sie gegen sämtliche Regeln. Bedaure, da kann ich keine Ausnahme machen.«
Neil hasste den kleinen Mistkerl noch mehr. Natürlich gab er sich die Schuld und konnte selbst kaum fassen, dass er vergessen hatte, rechtzeitig beim Sender anzurufen und Kate zu entschuldigen. Dass sie momentan andere Sorgen hatte, war ihm durchaus bewusst gewesen. Er hätte Richard gern klargemacht, dass es Kate schlecht ging, dass ihr jemand einen boshaften Streich gespielt hatte und sie für eine Weile weg von allem musste. Aber er konnte die Geschichte unmöglich erzählen, ohne dass es gleich geklungen hätte, als habe Kate einen Nervenzusammenbruch - und selbst das würde Richard wohl nicht bewegen, die Kündigung zurückzunehmen. Deshalb beschloss Neil, sich später darum zu kümmern. Er konnte mit einem Anwalt für Arbeitsrecht reden, den er kannte, und sich erkundigen, welche Möglichkeiten sie hatten. Solange Kate jedoch nicht zu erreichen war, sollte er das Thema auf Eis legen. Richard war nicht der Einzige, der nichts von ihr gehört hatte. Auch Neil musste sich mit dem Anrufbeantworter und dem Senden von SMS zufriedengeben und hoffen, dass Kate sie las und es ihr gutging. Im Moment aber durfte er sich davon nicht ablenken lassen. Er musste bei dem bleiben, weshalb er hier war.
»Der Grund meines Besuchs ist, dass ich Ihnen ein paar Fragen stellen muss. Sie wissen, dass Kate mehrere Fehlgeburten hatte.«
Richard wirkte erschrocken. »Drei, ja, das wusste ich. Sie hat es mir erzählt, was sie auch musste, um ihre vielen Fehltage zu erklären. Sie wollte den Grund nicht ins Krankenformular eintragen, in das Formblatt, das Mitarbeiter ausfüllen müssen, wenn sie wegen Krankheit gefehlt haben. Wir hatten eine interne Prüfung wegen unentschuldigten Fehlens, deshalb musste ich sie fragen, warum sie dreimal innerhalb von zwei Jahren wegen Grippe gefehlt hatte. Und da erzählte sie mir, was wirklich mit ihr gewesen war.«
»Haben Sie mit irgendjemandem darüber geredet?«
»Nein!«, entgegnete Richard beleidigt. »Ich hatte ihr versprochen, dass ich es für mich behalte, und ich halte meine Versprechen. Wieso fragen Sie mich das? Was ist passiert? Hatte sie wieder eine Fehlgeburt? Ist sie deshalb nicht zur Arbeit gekommen? Falls ja, müssen Sie mir das sagen. Dann würde ich mir
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