Irgendwann ist Schluss
Waffenschrank und nahm das Seil heraus. Es schimmerte merkwürdig flüssig, als wolle es sich auflösen, aber das war nur eine Träne in meinem Auge. Viel Zeit blieb mir nicht, inzwischen waren die vier im Überbrückungsraum. Kurz hatte ich ihre Fratzen gesehen. Ich stieg auf eine Klappleiter und knotete das Seil an der Deckenvorrichtung fest. Ich ruckte am Seil. Es hielt. Ich nahm aus dem Schrank Fernglas und Fernbedienung und packte sie in einen Rucksack. Ich öffnete den Tresor. Drinnen der Schalter. Ich legte ihn um. Ein rotes Licht leuchtete geräuschlos auf und blinkte. Ich schloss den Tresor wieder ab, öffnete das Fenster, das Seil in der Hand, legte die Sperre für das Gitter um und schob das Gitter nach außen. Ich blickte ein letztes Mal zurück und hörte den Knall einer neuen Ladung und das Gegröle der Feinde, die jetzt durchs Lebzimmer stürmten. Ich betätigte den Toröffner. Dann seilte ich mich am Fenster ab. Unten wurde mir seltsam wirr im Kopf, meine Augen waren nicht in der Lage, dorthin zu schauen, wohin ich lief, nein, ich sah etwas ganz anderes, ich sah nicht das, was vor meinen Schritten lag, sondern ich sah einen fliehenden Mann, und ich sah den fliehenden Mann so, wie ich ihn auf den Monitoren hätte sehen müssen, es war, als säße ich immer noch oben vor den Monitoren und beobachtete Erich, der floh, der endlich floh. Niemand war unten, die Hunde tot, sie schliefen nicht, das sah man, und Erich löste sich vom Haus, huschte zu den Büschen, hinter denen er sich verbergen konnte, zur Mauer, an der Mauer entlang zum Tor, durch das er sich schob. Erich blickte zurück. Durchs Fernglas sah er Licht im Lebzimmer. Dann hörte er Grummeln, ein kleiner Blitz. Es verstrichen Sekunden, in denen Erich nicht genau erkennen konnte, was geschah. Erst als das Gesicht von Gonzales am Fenster des Überwachungsraums erschien, drückte Erich die Taste der Fernbedienung, und dann kam der Donner. Er jubelte. Das war nicht so ein lächerliches Blitzchen, wie es seine Feinde zustande gebracht hatten, nein, das war ein einziger, gigantischer Urknall, ein Leuchten in der Nacht. Erich musste die Augen zusammenkneifen und sich hinter die Mauer werfen, und als er sich wieder aufrichtete, sah er, wie dem Haus die Knie wegsackten, die Säulenknie, in die er das Dynamit hatte stecken lassen. Das obere Stockwerk krachte in das untere, und alles versank in einer Wolke aus Staub: Gonzales, Wischnewski, Kuttner, der Zwerg, aber auch Freddy und die Monitore. Doch für Erich war alles noch längst nicht beendet. Vielleicht, dachte er, werden die vier überleben und durch einen glücklichen Zufall in eine Nische rutschen und von den herabregnenden Steinen verschont bleiben, vielleicht, dachte er, werden sie den Staub aus ihren Kleidern schütteln und aus den Trümmern aufstehen und die Verfolgung fortsetzen. Erich öffnete die Garage, sprang ins Auto, verriegelte die Türen von innen, drehte den steckenden Schlüssel und freute sich, als der Wagen ohne Murren ansprang. Jetzt fragte Erich mich, wo er denn hin solle, so ganz allein, und ich sagte ihm, nach Hause.
Nach Hause?, fragte er.
Wohin sonst?, sagte ich.
Eine Wolke aus Staub und Dreck lag auf der Dunkelheit, Erich fuhr durch das Tor und den holprigen Waldweg entlang. Einmal kam er vom Weg ab und streifte einen Busch, weil er mehr in den Rückspiegel blickte als nach vorn, dann ließ er den Wald hinter sich und nahm denselben Weg zurück, den er vor Monaten, vor Jahren, ich weiß nicht wann, gekommen war. Der Morgen brach an, und Erich vergaß, auf die Tankanzeige zu achten.
Nach Hause?, fragte er mich.
Nach Hause, sagte ich.
In der ersten größeren Stadt ruckte das Auto und blieb stehen. Erich dachte nicht lange nach und lief zu Fuß weiter, näherte sich dem Bahnhof, stieg ohne zu überlegen in eins der schläfrigen Taxis, gab dem Fahrer die Adresse an, und der Fahrer freute sich, weil es ein ganzes Stück war und er eine Menge Geld verdienen würde. Erich saß hinten, blickte unentwegt durch die Striche der beheizbaren Heckscheibe, und als die angegebene Adresse erreicht war, Erichs alte Wohnung, sprang Erich aus dem Taxi und lief zur Haustür, ohne auf die verärgerten Rufe des Taxifahrers zu achten. Erich stellte fest, dass er keinen Schlüssel mehr für seine alte Wohnung besaß und dass ein anderer Name an der Klingel für den achten Stock klebte, der Klingel, die einst ihm gehört und mit der alles begonnen hatte. Wütend läutete Erich, so lange, bis ein
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