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Irgendwann ist Schluss

Irgendwann ist Schluss

Titel: Irgendwann ist Schluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Orths
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heißen Jakob und Bernd von Hohenberg. Der eine hat schwarze Haare, der andere blonde. Der eine ist sympathisch, der andere nicht. Der eine ist ein Krimineller, der andere ein Gutmensch. Wir müssen aber darauf achten, den Kriminellen nicht zu kriminell und den Gutmenschen nicht zu gutmenschlich zu machen.
    Wenn neue Charaktere eingeführt werden – nach zwei Jahren ist das Personal eine einzige Inzest-Truppe, und irgendwann ist Schluss mit möglichen Verstrickungen, dann müssen andere Gesichter her –, so sind das zunächst Unfehlbarkeitsmenschen, denn nur dann ist die Fallhöhe so eklatant, dass beim Zusehen Emotionen entstehen können. Wer hätte gedacht, dass der brave Junge Paul plötzlich mit der Mutter seiner Freundin schläft? Die weißen Westen werden umso dreckiger, je sauberer sie vorher waren. Da fallen sie allesamt aus den Wolken ihrer Unschuld, werden tablettensüchtig, alkoholsüchtig, drogensüchtig, werden zu Lügnern und Verrätern, und der Zuschauer erkennt den geliebten Menschen nicht wieder, erkennt nur sich und seine eigenen Fehler. Aber man sieht auch die neuerliche Läuterung der ehemaligen Lämmer. Durch die Schuld, die sie auf sich geladen haben, wird ihre Auferstehungsleistung umso größer, und am Ende, das ist die wichtigste Regel von allen, am Ende ist wieder alles so wie am Anfang, keiner der Gestürzten darf als Gestürzter liegen bleiben, nein, die Zuschauer wollen sehen, dass jeder sich aus dem größten Schlamassel wieder befreien kann.
    Dialoge? Ein Kinderspiel. Bei uns müssen die Charaktere ständig sagen, was in den vergangenen Folgen geschehen ist, für alle Wiedereinsteiger, die eine oder mehrere Folgen verpasst haben. Wir nennen das Recap . Steht für Recapitulation. Das geht am einfachsten, wenn man einen Darsteller auf einen anderen treffen lässt, der nichts vom Geschehenen weiß: »Klaus hat mit Lisa geschlafen!« – »Aber sie sind doch Geschwister!« Schwieriger wird es, wenn beide Dialogpartner den Sachverhalt kennen. Dann bleibt uns der Einfühlungsbericht: »Ich weiß, wie sehr es dir zu schaffen macht, dass dein Sohn jetzt mit deiner Frau zusammen ist, aber die beiden lieben sich, du kannst nichts daran ändern, du musst endlich über deinen Schatten springen und deinem Sohn die Hand reichen.« Oder die sogenannte Anklage: »Du bist so ein Schwein! Erst willst du deinen Vater vergiften, dann bestichst du einen Beamten, um die Firma zu retten, und jetzt willst du auch noch deine Frau in die Anstalt einweisen lassen!« Und wenn alle Stricke reißen, bleiben immer noch Rückblenden. Rückblenden sind unser Urlaub, sie kosten kein Geld und können einfach reingeschnitten werden.
    Natürlich brauchen wir auch Liebespaare, große Liebespaare, den Beginn der Liebe, zwei Menschen, die sich nie zuvor gesehen haben, der eine dreht sich um, sie stoßen zusammen, Wasser übers Jackett, pass doch auf, dann aber der Blick, sie sehen sich tief in die Augen, Musik, Weichzeichner, Lichteffekte, Kameraschwenk, dreifacher Ballhaus, damit jeder Zuschauer definitiv weiß, dass die beiden zusammengehören, auf ewig. Und wie sie dann ein Paar werden, mein Gott, da lassen wir uns Zeit, etwas steht immer zwischen den Liebenden, ein anderer Mann, eine andere Frau, ein Verbot, ein Verdacht. Die äußeren Bedingungen sind gegen sie, sie müssen sich heimlich treffen. Aber sie schaffen es. Ihre Liebe ist groß genug. Ihr gemeinsames Leben beginnt. Ihr gemeinsames Glück. Doch all das immer nur so lange, bis die Vergangenheit sie einholt. Es kommt zur Trennung. Zur obligatorischen Trennung. Und zur alles entscheidenden Frage: Werden die beiden wieder zueinanderfinden?
    Ich saß in einem Bistro, Hochsommer, und ich saß nur deshalb drinnen, weil ich das Sirren der Wespen so hasse. Ich sah zum Fenster. Nicht durchs Fenster, sondern zum Fenster. Es war das einzige Fenster, das man geschlossen hatte, alle anderen standen weit offen, klar, bei der Hitze, nur dieses eine nicht. Eine fette Fliege versuchte, ins Freie zu gelangen. Ihr Summen war laut, aber gleichzeitig auch gemütlich, harmlos, ohne Bedrohung. Die Fliege krabbelte ein Stückchen, kroch zur Ecke oben links und putzte sich. Dann stieß sie sich ab und flog in den Raum. Ich verfolgte ihren Flug, so gut es ging, verlor sie kurzzeitig aus den Augen, sah sie erst wieder, als ich sie auch hörte, sie flog zurück, genau an die Stelle, von der sie gestartet war. Wieder das Brummen. Dann Stille. Sie saß. Da. Ruhig. Das war alles. Aber mir

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