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Irgendwann ist Schluss

Irgendwann ist Schluss

Titel: Irgendwann ist Schluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Orths
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schien, als hörte die Erde auf, sich zu drehen, ganz kurz. Ich bin noch gefangen von dieser Sekunde, da brummt die Fliege wieder, da kommt die Bedienung und wischt meinen Tisch ab, da blickt sie mich vorwurfsvoll an, da merke ich erst, dass ich den Kaffee umgekippt habe.
    Ich dachte plötzlich, ich muss hier raus. Ich muss weg. Ich kann nicht mehr. Ich hau einfach ab. Es muss was passieren. Es muss sich was ändern. Dem Leben muss neuer Atem eingehaucht werden. Ich ging in meine Wohnung, packte ein paar Sachen zusammen und setzte mich ins Auto. Ich hätte längst zurück im Container sein müssen, aber ich fuhr einfach los. Von unterwegs würde ich anrufen und mich krank melden. Kein Problem. Zwei Tage, dann war ohnehin Wochenende, und zwei Tage konnte man immer mal fehlen. Ich wollte Richtung Süden. Noch ein paar hundert Meter, ehe ich auf die Autobahn hätte abbiegen müssen. Aber ich fuhr weiter und nahm die Auffahrt Richtung Norden, ich kann nicht sagen, weshalb, es war, als lenkte mich irgendwas in Richtung Norden. Heute, nach allem, was geschehen ist, weiß ich, dass manche das Wort Schicksal bemühen würden, ich nicht, ich glaube nicht an solche Worte, ich setze dem Schicksal den Zufall entgegen, der verantwortlich war für eine unglaubliche Wende in meinem Leben. Ich sah nicht ein einziges Mal auf die Uhr, ich fuhr einfach, alles andere interessierte mich nicht. Ich fuhr drei Stunden ohne Pause. Dann hielt ich auf einem Rastplatz, ging zur Toilette, hatte keinen Hunger, kaufte aber trotzdem etwas zu essen. Derselbe Zufall, der mich auf den Rastplatz geführt hatte, wollte es so, dass die Verkäuferin kein Wechselgeld hatte. Sie musste ins Büro, um kleine Scheine zu holen. Und ich verlor oder gewann, je nach Sichtweise, die entscheidenden zwei Minuten, die verantwortlich zeichnen, dass ich Barbate Limbo wiedersah. Denn ich fuhr um genau sechzehn Uhr dreiundzwanzig auf den Beschleunigungsstreifen, trat das Gaspedal nach unten, sah die Tachonadel auf die Hundert zittern und fädelte ein, als in meinem Rückspiegel ein knallroter Peugeot auf die Überholspur wechselte, und in dem Augenblick, da er an mir vorbeifuhr, drehte ich meinen Kopf nach links und blickte in den Wagen. Dort drinnen saß sie, Barbate Limbo, ich erkannte sie sofort, und das nur, weil sie im selben Moment, da ich hinüberblickte, auch zu mir sah, erkannte sie nur, weil sich unsere Blicke trafen, und Barbate Limbos Augen, den Ausdruck ihres Gesichts, all das hatte ich nie vergessen, in den fünfundzwanzig Jahren, in denen ich sie nicht mehr gesehen hatte.
    Barbate. Allein schon der Name. Ihre Eltern sind schuld an diesem Namen, das versteht sich eigentlich von selbst, aber bei Barbate verhielt es sich doch anders als gewöhnlich. Ihre Eltern, Jo und Helen Limbo, Aussteiger und leidenschaftliche Fallschirmspringer, ließen sich in Spanien die Costa de la Luz entlangfliegen, in einem winzigen Flugzeug, die Fallschirme auf den Rücken geschnallt, bereit zu springen, und dort, sagten die beiden, dort, wo wir landen, da bauen wir auf, was andere Existenz nennen würden, und mehr noch, wenn wir ein Kind bekommen, werden wir es nach dem Ort nennen, in dem wir landen. So sagten sie und sprangen, Jo und Helen, ließen sich fallen, flogen, rissen die Leine, gondelten nach unten, verfingen sich in Pinienbäumen, ein paar wild grasende braune Kühe grummelten genervt, Jo und Helen enthedderten sich, schauten sich um, gingen zur Straße und die Straße entlang bis zum Ortsschild: Barbate. So gesehen hatte Barbate Glück gehabt. Mit etwas Pech hätten ihre Eltern auch in Los Caños de Meca oder Vejer de la Frontera landen können. Ihre Eltern kauften eine Kneipe. Sonne, Meer, Ruhe, Freiheit. Genau dort kam Barbate zur Welt, in Barbate wuchs Barbate auf, unter der Laissez-faire-Sonne des Meers und ihrer Eltern, ohne Normen, ohne Konventionen, ohne Erwartungen, ohne Druck, ohne Leistungswahn, und diese Kindheit fräste sich tief ein in ihre Persönlichkeit.
    Im Alter von zehn Jahren hockte Barbate am Strand, mit zwei Nachbarskindern und deren Mutter, die ruhig in der Sonne las. Als Barbate plötzlich Motorenrauschen hörte, sah sie zum Himmel, und ein kleines Flugzeug stieg ins Blau, das Flugzeug stotterte und sprotzte, tat einen erschöpften Seufzer, stürzte kopfüber ins Meer und zerschellte nur ein paar hundert Meter vom Strand entfernt. Barbate fand das unheimlich schön. So was hatte sie noch nie gesehen. Das weiße Blitzen der Flügel, das

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