Irgendwann ist Schluss
hört man nur ein leises Ausströmen. Ein feines Geräusch. Ein Plopp. Ungefähr so.« Torge macht ein Ploppgeräusch.
»Ich will mit meiner Frau sprechen!«, sagt Koller.
»Kann ich verstehen. Also gut. Hören Sie zu. Das hier kann ich Ihnen anbieten. Warten Sie.«
Torge spult das Tonband vor.
Stop.
Play.
Stille.
Es ertönt die Stimme einer Frau.
Erstickte Hilfeschreie.
Unterdrücktes Keuchen.
Kofferraumknallen.
Autoreifen.
»Stimme erkannt?«
»Sybille?«
»Reicht das?«
Koller: »Selbst wenn ich das Geld überweisen wollte , ich habe das Passwort nicht bei mir.«
»Sie kennen Ihr Passwort auswendig. Ihr Passwort und den neunstelligen Security-Code. Sie tätigen öfter Überweisungen in dieser Höhe. Und Ihre Hausbank, Robinson & Snijder …«
»Woher wissen Sie das?«
»Mensch, Koller. Schauen Sie sich an. Da sitzen Sie und versuchen, aus der Sache rauszukommen. Ringen um fünf Millionen. Um läppische fünf Millionen. Peanuts nennen Sie das doch.« Plötzlich ändert sich Torges Ton. Er schaut zur Tür, lehnt sich ein Stückchen zu Koller hinüber, flüstert nun, tut geheimnisvoll, kumpelhaft. »Passen Sie auf. Ich bin kein Unmensch. Wenn Ihnen das Geld so wichtig ist: o.k. Es gäbe da eine Möglichkeit. Unter uns: Ich meine es gut mit Ihnen. Ich befinde mich in einer Win-win-Situation. Ich gebe Ihnen eine Chance. Ich schlage Ihnen ein … ein … sagen wir … Geschäft vor. Sie müssen wählen. Sie müssen sich nur für die richtige Seite entscheiden.«
»Was meinen Sie?«
Torge kippt den Grappa und deutet zum Fenster.
Koller schaut hin, er versteht nicht.
»Das Fenster!«, sagt Torge.
»Was ist damit?«
»Sehen Sie: Wenn Sie die fünf Millionen überweisen, bekomme ich zehn Prozent. Das sind 500000. Das ist weiß Gott nicht zu verachten. Wenn Sie dagegen durchs Fenster abhauen, kriege ich keinen Penny. Aber stattdessen kann ich was anderes tun.«
»Und was?«
»Ihre Frau liquidieren. Für meine Symphonie, Sie wissen schon, da fehlt mir noch … ein … ein Höhepunkt. Meine Klang-Installation. Eine Melange aus verschiedenen Käferstimmen, hintereinandergelegt. Danach der Chor der Ratten. Und dann fehlt mir noch was, ein Schluss. Und da hab ich mir gedacht: Weshalb sich mit Kleinvieh abgeben, weshalb immer nur Insekten, weshalb bloß Schmeißfliegen und Ungeziefer und Tausendfüßer und Ohrenkneifer und Bienen und Hornissen? Nein, am Schluss fehlt noch eine … eine menschliche Stimme. Da hab ich an Ihre Frau gedacht, Koller. Die Stimme Ihrer Frau, kurz bevor ich sie töten werde. Diesen Schrei Ihrer Frau einfangen, bannen, in Ton meißeln, Koller, das wäre wahnsinnig schön. Also? Wie sieht’s aus? Man hat immer die Wahl. Entweder Sie überweisen das Geld auf dieses Konto hier. Dann lassen wir Ihre Frau wieder frei. Oder Sie gehen zum Fenster und kriechen raus.«
»Und dann?«
»Behalten Sie in jedem Fall Ihr Geld. Aber verlieren Ihre Frau.«
Koller gibt ein Geräusch von sich zwischen Weinen und Lachen. Er beruhigt sich langsam. Plötzlich flüstert er: »Sie sind doch … verrückt sind Sie!«
»Ich«, sagt Torge, »bin nicht verrückt, nein, ich bin ein ganz normaler Psychopath. Genau wie Sie.«
Koller schweigt eine Weile.
Macht, flüstert Torge, Macht über andere Menschen, Macht über Leben und Tod. Der Mensch fühle sich nicht mehr wie ein Mensch, sondern so, wie Gott sich fühlen müsste, wenn es ihn gäbe. Er sehe es förmlich vor sich: Nach Kollers Flucht durchs Fenster werde er, Torge, Sybille anrufen. Er werde ihr sagen, dass er jetzt kommen werde, um ihr das Leben zu nehmen. Sie sitze dort in einem dunklen Zimmer. Sie könne sich in aller Ruhe auf ihren letzten Auftritt vorbereiten. Ihr letzter Auftritt als Mensch. Sie könne sich einstimmen auf das Ende. So eine Todesangst müsse reifen. So eine Todesangst sei wie eine Stimmgabel für den finalen Schrei. »Ihre Frau, Herr Koller, wird die Angst sammeln, so, wie man Spucke im Mund sammelt. Und wenn ich bei ihr bin, wird sie spucken. Wird sie schreien.«
Plötzlich geht ein Ruck durch Koller. Seine Haltung strafft sich. »Nicht mit mir!«, sagt er. »Ich hab genug. Es reicht jetzt! Irgendwann ist Schluss. Her mit dem Zettel. Fünf Millionen. Lächerlich! Fünf Millionen zahl ich aus der Portokasse.« Koller tippt etwas in sein Notebook ein. Nach ein paar Sekunden ertönt eine künstliche Stimme aus dem Computer: »Herzlich willkommen bei der Robinson & Snijder-Bank, dem Kreditinstitut Ihres Vertrauens. … Für die
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