Irgendwas geht immer (German Edition)
irgendetwas Brauchbares von mir geben; etwas, was Eltern hilft, die qualvolle Phase der Pubertät ihrer Sprösslinge einigermaßen unbeschadet zu überstehen und nützliche Informationen aus meinen Tipps zu ziehen. Ich hatte gehofft, dass sie begreifen, wie wichtig es für Heranwachsende ist, sich aus den Fesseln der Kindheit zu befreien und sich im Zuge dessen auch von den Eltern abzuwenden. Und von den Eltern wird erwartet, genau zu dem Zeitpunkt loszulassen, wenn am meisten auf dem Spiel steht und die Gefahren am allergrößten sind. Ich wollte herausarbeiten, wie schwer es ist, danebenzustehen und sie ihre Fehler begehen zu lassen und nicht ständig zu versuchen, sie davor zu bewahren oder sonst irgendwelche Rettungsversuche zu unternehmen.
Am meisten lag mir jedoch am Herzen, den Eltern begreiflich zu machen, dass wir erkennen müssen, dass wir unsere Kinder häufig zum Mittelpunkt unseres Daseins gemacht haben und es deshalb schwer sein kann, uns mit der veränderten Situation anzufreunden und sie ihr Leben ohne uns leben zu lassen. Und dass wir in diesen Phasen größter Verletzlichkeit, wenn die Bindung zu einem der zentralen Daseinszwecke unseres Lebens auf dem Prüfstand steht, vielleicht dazu neigen, uns ebenfalls ein klein wenig verloren zu fühlen.
Ist es möglich, dass wir in dieser Phase allzu leicht in Versuchung geraten, uns andere Alternativen zu suchen, an die wir uns klammern können? Andere, vielleicht gefährlichere Alternativen, die unser gesamtes bisheriges Leben aus den Angeln heben könnten? Als Therapeutin ist mir durchaus klar, wie schnell so etwas passieren kann. Als Frau hingegen habe ich keine Ahnung, welche Alternativen denkbar wären. Und ich werde wohl kaum die in Auflösung begriffene Beziehung zu meinen eigenen Kindern durch eine nicht minder komplizierte Portion Jugendlichkeit in Gestalt eines jungen Geliebten kompensieren, oder? Hier kann doch wohl kaum ein Zusammenhang bestehen. Oder etwa doch?
Diesen Morgen saß Lisa in voller Kampfmontur am Empfangstresen, einschließlich Bomberjacke. Mittlerweile ist es so normal, dass keiner mehr etwas dazu sagt. Nicht einmal die Patienten. Sie ist unsere offizielle Anführerin. Die Herrin des Terminkalenders. Sie erinnert mich immer an diesen Klinger in MASH , der in den schrägsten Frauenkleidern herumlief, um endlich aus dem Militärdienst entlassen zu werden. Vielleicht wirft Lisa sich ja im Gegenzug in immer wildere Militärmonturen, um ihre Stellung am Empfangstresen zu verteidigen? Im Gegensatz zu uns ist sie keine studierte Therapeutin, trotzdem besteht kein Zweifel daran, dass sie für den reibungslosen Praxisalltag genauso wichtig ist wie wir. Sie weiß, dass wir in aller Regel von den Menschen am meisten respektiert werden, die uns als ebenbürtig betrachten, und vielleicht war genau das bei ihr anfangs nicht der Fall. Zumindest habe ich sie nicht so gesehen. Mittlerweile hat sich das jedoch geändert. Ich hoffe nur, dass sie nicht irgendwann mit einer Maschinenpistole ankommt.
»Sie sehen aber heute hübsch aus, Mo«, begrüßte sie mich, als ich hereinkam.
»Oh, danke.«
Ich würde vielleicht nicht so weit gehen und behaupten, ich sähe »hübsch« aus, aber zumindest besser als noch vor ein paar Monaten, als ich gewissermaßen tot war. Es ist schon erstaunlich, wie sich die Laune heben kann, wenn man spürt, wie positiv andere Menschen auf einen reagieren. Mum hat völlig recht. In Noels Augen bin ich wichtig. Sogar mehr als das. Ich bin begehrenswert. Und küssenswert.
Bekomme ich etwa den Hals nicht voll? Schließlich findet mich auch mein reizender Ehemann nach wie vor begehrenswert und will mich ständig küssen. Zu oft sogar, wenn ich ehrlich sein soll. Er findet es absolut köstlich, mich in den unmöglichsten Situationen zu küssen. Beispielsweise während des Elternabends, als ich mich gerade mit irgendwelchen Lehrern unterhielt, bei den Hypothekenverhandlungen mit der Bank oder an der Supermarktkasse. Er findet es wahnsinnig komisch, mich in Verlegenheit zu bringen, und ehrlich gesagt ist es das auch.
Nicht dass ich ihn nicht mehr anziehend fände, aber es ist eben alles ein bisschen … na ja … eingeschlafen. Wir haben aufgehört zu wachsen. Wir sind festgefahren. Was nicht weiter ungewöhnlich ist. Und es ist auch kein Verbrechen, aber definitiv Gift für jede Beziehung. Vertrautheit und Sicherheit, zwei Faktoren, die zwar allgemein als erstrebenswert gelten, in Wahrheit aber echte Beziehungsterroristen
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