Irgendwo dazwischen (komplett)
aus seinem Gitterbettchen hebe. Und
obwohl Luis fast nichts wiegt, gibt es mir den Rest, ihn ins Wohnzimmer zu
schleppen. Ich bin noch nicht einmal achtundzwanzig und erwarte mein drittes
Kind. Und in diesem Moment wird mir wieder einmal klar, dass ich mir vom Leben
mehr erwartet habe als einen Haufen schreiender Kinder. Mir wird klar, dass
meine Träume verpufft sind. Sie sind so unendlich weit weg. Und mit jedem Tag
entfernen sie sich noch mehr von mir.
Ich will
nicht unfair sein. Ich habe in vielerlei Hinsicht wirklich Glück gehabt. Ich
habe einen Mann an meiner Seite, den ich wirklich liebe, und der mich wirklich
liebt. Ich habe zwei wunderbare Söhne. Ich lebe in einem schönen Haus, mit
einem schönen Garten und netten Nachbarn. Joakim und ich können über alles reden.
Wir können diskutieren, wir können über Probleme sprechen, wir sind für
einander da. Wir können gemeinsam schweigen und miteinander lachen. Und sobald
die Kinder im Bett sind, sind wir nicht mehr nur Eltern, sondern wieder ein
Paar. Wir schlafen oft miteinander. Im ganzen Haus. Das erklärt vielleicht
auch, warum ich am laufenden Band schwanger bin. Kaum ist ein Kind draußen und
abgestillt, nistet sich das nächste ein. Ich habe das Gefühl, ich bin die
fruchtbarste Frau in ganz Finnland. Dauerschwanger. Da hat sich wenigstens die
Umstandsmode gelohnt.
Geburtstermin
für Kind Nummer drei ist in zwei Wochen. Wieder ein Junge. Nicht, dass ein
Junge nicht in Ordnung wäre, aber ich hatte mir, ehrlich gesagt, eine Tochter
gewünscht. Ich bin andauernd von männlichen Wesen umgeben. Joakim ist leider
der, der am seltensten da ist. Und Vincent und Luis sind anstrengend. Vor
allem, weil ich immer schwanger bin. Manchmal möchte ich mich einfach eine
Stunde hinlegen, die Beine ausstrecken, ein Buch lesen, oder mit jemandem
reden, der nicht erst drei beziehungsweise zwei Jahre alt ist. Joakims Mutter
versucht zu helfen, wo es geht, vor allem seit Joakims Vater vergangenen Winter
überraschend gestorben ist. Außer seiner Mutter sind da noch zwei, drei
Freundinnen. Aber diese beiden kommen weder an Lili noch an Marie ran. Sie sind
Zweckfreundinnen. Sie sind eben da. Und deswegen sind sie meine Freundinnen.
Dann wäre da noch meine Nachbarin. Sie nimmt die Jungs ab und an zu sich. Aber
sie stopft sie jedes Mal dermaßen mit Süßigkeiten voll, dass ich sie nicht
gerne lange dort lasse.
Ich sitze
auf dem Boden und spiele mit Vincent und Luis. Und während ich dort sitze,
frage ich mich, wann ich zum letzten Mal im Kino war. Ich frage mich, welchen
Film ich angesehen habe. Doch ich kann mich nicht daran erinnern. Es ist zu
lange her. Und der Titel des letzten Buches, das ich gelesen habe, will mir
auch nicht mehr einfallen. „Mama, holst du uns die Bauklötze?“, fragt Vincent
strahlend.
„Nein,
Vincent, ihr habt hier wirklich genug Zeug zum Spielen.“
„Bitte...
bitte, bitte...“
„Ich habe nein gesagt, Vincent...“ Und nun fängt auch noch Luis an zu weinen. Ich habe einfach
keine Nerven mehr. Ich habe mir das alles anders vorgestellt. Ich bin doch
keine Legehenne. Ich habe keine Lust mehr. Ich bin am Ende. „Wenn du nicht
gleich aufhörst zu weinen, Luis, dann stecke ich dich ins Bett, dann spielt ihr
eben überhaupt nicht mehr!“, fahre ich ihn an. Luis plärrt weiter. Immer lauter
kreischt er durchs Haus. Schwerfällig stehe ich auf, nehme Luis unter den Arm
und gehe in Richtung Kinderzimmer. Er strampelt, schreit, schlägt um sich.
Vincent rennt mir brüllend hinterher. Und dann kann ich nicht mehr. Ich stelle
Luis auf den Boden im Flur, drehe mich um und gehe zum Wohnzimmer. Ich schaue
die beiden noch einmal an. „Ihr kommt nur dann zu mir, wenn etwas wirklich Schlimmes passiert, ansonsten wagt ihr euch nicht in dieses Zimmer...
Verstanden?“ Mein Tonfall ist eiskalt und distanziert, als ich das sage. Sie
schauen mich verschreckt an. Dann gehe ich ins Wohnzimmer und schließe leise
die Tür hinter mir. Und plötzlich ist es still. Diese Stille ist wie Balsam für
meine Seele. Ich setze mich auf die Couch und starre in die Leere. Kaum hörbar
schluchze ich und streichle über meinen immensen Bauch. Mein Blick fällt auf
einen Bilderrahmen auf dem Kaminsims. Ein dunkelgrüner VW-Bus, strahlend blauer
Himmel, sechs glückliche und unbeschwerte Gesichter. Zärtlichkeit und Wärme
scheinen aus dem Foto zu strömen. Joakims Hände liegen auf meinem Bauch, der
damals noch flach war. Damals wusste ich noch nicht, dass ich wenige
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