Irgendwo dazwischen (komplett)
Diese Wohnung wird bald mir
gehören. Zumindest werde ich bald in dieser Wohnung wohnen. Ich überfliege noch
einmal die Daten der Wohnung. 95 Quadratmeter, drei Zimmer, Etage fünf von
fünf, Dachterrasse, wenige Minuten vom Rotkreuzplatz. Ich klicke ein letztes
Mal durch die Bilder, dann rufe ich die Maklerin an. Ich erkläre ihr meine
Situation und sage ihr, dass ich die Wohnung unbedingt will. Und weil man
manchmal im Leben einfach Glück hat, bin ich ihr unheimlich sympathisch.
Ich nehme
mein Handy, weil meine Festnetznummer schon abgemeldet ist. Ich wähle die
Nummer meiner Mutter, aber es nimmt keiner ab. Dann suche ich nach Lilis
Nummer. Das Handy wählt. Und Lili ist zu Hause. „Lili? ... Ja, ich bin’s,
Marie... nein, ich bin in Hamburg ... Hast du gerade Zeit? ... Ich brauche eine
Wohnung in München... Ja, in München... ja, im Ernst, ich komme zurück...“ Am
anderen Ende der Leitung schreit Lili vor Freude. Sie lacht. „So schnell wie
möglich... ja, ich hab meine Wohnung schon gekündigt... genauer gesagt sitze
ich zwischen fertig gepackten Umzugskisten... das erzähle ich dir, wenn ich da
bin... Kannst du für mich eine Wohnung besichtigen gehen?“ Ich schicke ihr den
Link zu dem Wohnungsangebot. „Hast du die Mail schon bekommen? Ja, genau, drei
Zimmer in Neuhausen... Hört sich gut an, oder? ... Doch, die hat einen Balkon
und eine Terrasse... doch das steht weiter unten... Ja, schon... ja, sie ist
teuer, aber es ist ein Altbau mit Aufzug, und die Wohnung ist im
Dachgeschoss... ja, eben, und Parkett... Ich hab da schon angerufen, und um
drei könnte sie dort sein... ich schick dir die Nummer... Tausend Dank! Sag
ihr, ich könnte übermorgen einziehen, ich habe die Provision in bar... ja...
danke dir... und Lili? Ruf mich bitte gleich danach an, okay?“
Weitere
zwei Stunden später klingelt endlich mein Handy. Ich bin aufgeregt. „Ja? ...
Ja... Und? ... Nein, ehrlich? ... Das ist der Hammer! Danke, danke, danke! ...
ja, und wann soll ich dort sein? ... okay... ja, das schaffe ich schon... ach,
ja, und Lili? Würdest du mich zur Schlüsselübergabe begleiten? ... ja, wir
telefonieren morgen... ja, ich mich auch... bis dann.“
Ich lege
mich auf meine Matratze und schaue an die Decke. Es ist schon sehr lange her,
dass ich mich so unbeschwert gefühlt habe. Es ist schon sehr lange her, dass
ich das Gefühl hatte, mich richtig zu entscheiden. Und es ist schon sehr lange
her, dass ich so glücklich war. Ich bin auf dem richtigen Weg. Es geht gen
Süden.
Lili
Ich stehe
auf dem Gehweg. Die Sonne strahlt vom Himmel. Ein letztes Mal schaue ich die
Fassade hinauf zu Maries zukünftiger Wohnung. Sie kommt zurück. Diese Nachricht
ist das Beste seit langem. Es ist, als hätte sie mein Herz geöffnet. Es gibt
doch mehr als das, was ich mein Leben nenne. Denn da ist Marie.
Ich beneide
sie fast ein bisschen um diesen Neuanfang. Vielleicht weil ich nicht den Mut
hätte. So wie ich Marie kenne, hat sie sich von Markus getrennt und einfach aus
dem Bauch heraus beschlossen, dass sie nicht mehr in Hamburg bleiben will. Ich
hätte nie gedacht, dass sie wiederkommen würde. Sie hat immer so von Hamburg
geschwärmt. Sie hat mir von ihren Lieblingscafés erzählt und von ihrer Uni. Und
sie hat geschwärmt, wie schön es ist, in einer fremden Stadt zu studieren.
Einer Stadt am Wasser. Sie hat es geliebt, dort alles neu kennenzulernen und zu
entdecken. Ich dachte, sie hätte sich in dieser Stadt endlich gefunden. Und
vielleicht hat sie das auch. Aber nun zieht es sie nach Hause. Was es auch immer
ist, das sie hierher zurückbringt, ich bin dankbar, dass es da etwas gibt, das
sie vermisst. Und ich denke, ich bin ein Teil davon. Und es fühlt sich schön
an, jemandem so wichtig zu sein.
Als ich
wieder zu Hause ankomme, gehe ich unter die Dusche. Kühles Wasser läuft über
meinen Körper. Zum ersten Mal seit langem fühle ich mich nicht taub. Ganz im
Gegenteil, ich fühle mich lebendig. Ich fühle mich fantastisch.
Ich trockne
mich oberflächlich ab, dann gehe ich nackt ins Schlafzimmer. Dort lege ich mich
aufs Bett. Die Fenster sind weit geöffnet, die weißen Vorhänge nur halb
zugezogen.
Lauer Wind
streichelt über meine noch feuchte Haut. Wie sanfte Hände berührt-- er mich.
Ich schließe die Augen. Alles in mir schreit nach Aufmerksamkeit. Alles in mir
wünscht sich Nähe. Und weil ich alleine bin, schenke eben ich mir die
Beachtung, die mir Elias seit Ewigkeiten verweigert.
Emma
Als
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