Irgendwo dazwischen (komplett)
neidisch. Und vielleicht sogar ein wenig wütend. Ich lese die Zeilen unter
dem Foto. Endlich ist er da, unser kleiner Sohn. Wir wollten diesen unbeschreiblich
schönen Augenblick mit den Menschen teilen, die uns am wichtigsten sind. Es
wundert mich, dass ich so eine Karte bekommen habe, denn ich habe nicht
mitbekommen, dass ich Joakim oder Emma so wichtig wäre. In den letzten Jahren
haben wir vielleicht dreimal telefoniert. Wenn es hoch kommt. Ja, da gab es
sicher gute Gründe. Viele gute Gründe. Da waren das Studium und dann die
Arbeit, da war Joakim, und der Umzug nach Finnland, dann kam Vincent. Und bei
mir der Umzug nach Hamburg, das Studium, der Nebenjob, die Trennung von Paul,
der Abschluss, die Jobsuche, dann kam Hannes, dann kam noch ein Umzug in die
gemeinsame Wohnung mit Hannes, dann kam eine scheußliche Trennung, dann eine
neue Wohnung, dann ein Job, und jetzt ist da Markus.
Ich lege
die Karte weg. Und genau wie damals, als ich sie zum ersten Mal gelesen habe,
empfinde ich Rührung auf der einen Seite, und Enttäuschung und Wut auf der
anderen. Kurz frage ich mich, wie es Emma wohl geht. Dann nehme ich einen Brief
aus der Schachtel. Erst als ich ihn aus dem Umschlag ziehe, weiß ich wieder,
von wem er ist. Die Ecken sind nicht mehr eckig, sondern rund. An den Stellen,
wo der Brief geknickt wurde, ist die Schrift abgewetzt.
Liebste
Marie,
es ist
nicht so, dass ich dich nicht verstehen kann. Zumindest ein Teil von mir kann
es, der andere nicht. Vielleicht liegt das daran, dass ich es noch nicht
wirklich begreife. Oder ich verdränge es. Wir waren über drei Jahre zusammen.
Und für mich waren es wunderschöne drei Jahre.
Ich habe
lange mit mir gerungen, ob ich dir diesen Brief schreiben soll, aber irgendwie
muss ich es tun. Es kann sein, dass ich denke, nur so von dir loszukommen.
Vielleicht kann ich ja meine Gefühle in diesen Umschlag stecken und zu dir
zurück schicken. Ich will sie nämlich nicht mehr. Alles, was sich einmal gut
und richtig angefühlt hat, tut jetzt weh. Ich versuche krampfhaft, Spaß zu
haben. Aber je mehr ich das versuche, desto beschissener geht es mir. Ich frage
mich, wie es dir geht. Und ich frage mich, ob es einen andern gibt. Und dann
bin ich froh, dass ich das nicht weiß. Denn es soll dir nicht gut gehen, und
wenn es einen anderen gibt, frisst mich das von innen auf. Und deswegen ist es
besser, es nicht zu wissen.
Ich will
keine Antwort von dir auf diesen Brief. Denn wenn du antwortest, wäre es kein
Abschiedsbrief, und genau das soll es sein. Ein Abschied. Ein Abschied nach
achtzehn Jahren. Ich verliere nicht nur meine Freundin, ich verliere auch meine
beste Freundin. Wir kennen uns seit dem Kindergarten. Und plötzlich darf ich dich
nicht mehr anrufen. Ich hoffe, zumindest das tut dir weh.
Deine
Zeichnungen habe ich von den Wänden genommen. Endlich. Anfangs dachte ich, ich
würde sie verbrennen. Doch das kann ich nicht. Denn eigentlich liebe ich diese
Bilder. Ich kann sie nur nicht ansehen, ohne mich schlecht zu fühlen. Und
deswegen mussten sie alle weg. Dann habe ich kurzzeitig überlegt, ob ich sie
dir einfach schicken soll. Auch das habe ich nicht übers Herz gebracht. Sie
liegen in einem Karton, zusammen mit unseren Fotos, den Briefen und all den
anderen Dingen, die nun vergangen sind.
Warum
scheint alles so unweigerlich mit dir verbunden zu sein? Vielleicht, weil es
eben so ist. Ich höre Musik und denke an dich, ich schaue einen Film und denke
an dich, ich lege mich ins Bett und denke an dich. Mit dir scheine ich über
jeden Film diskutiert zu haben, über jedes Lied, über jedes Buch.
Ich habe
endlich verstanden, was du immer gesagt hast. Leider zu spät. Meine Eifersucht
hat dich nach und nach von mir weg getrieben. Es ist genau das passiert, wovor
ich mich am meisten gefürchtet habe. Wovor ich versucht habe, mich zu schützen.
Ich habe dich verloren.
Immer
wieder nehme ich den Hörer in die Hand. Und immer wieder lege ich auf. Denn
ganz tief in mir habe ich verstanden, dass es vorbei ist. Mein Hirn hat es
kapiert. Mein Herz noch nicht ganz.
Das
Seltsamste ist aber, dass ich mir nicht wirklich wünsche, dass es dir schlecht
geht. Ein Teil wünscht sich das schon, aber ein anderer eben nicht. Dieser
andere Teil wünscht sich, dass du glücklich bist. Ich denke, das ist der Teil,
der dich noch immer von ganzem Herzen liebt. Der andere ist der, der mich liebt
und dich hasst, weil du ihn verletzt hast.
Ich
wollte, dass du weißt, dass du mir fehlst. Ich
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