Irgendwo dazwischen (komplett)
Joakim
nach Hause kommt, sitze ich noch immer im Wohnzimmer und schwelge in der
Vergangenheit, die mich in letzter Zeit immer häufiger einholt. Ich schaue auf
das Bild, das ich in meinen Händen halte. Vincent und Luis haben es für mich
gemalt. Vor einer halben Stunde ist knarrend die Tür aufgegangen, dann haben
sie sich ganz leise ins Wohnzimmer geschlichen, das Bild neben mich auf die
Couch gelegt und sind dann schreiend im Flur verschwunden. Auf dem Bild ist
eine dicke Frau, also ich, und zwei kleine Jungen. Die drei bunten
Strichmännchen und eine riesige gelbe Sonne strahlen mir entgegen. Im
Hintergrund ist ein Haus mit Garten. Die Wiese und der Himmel sind blau. Die
dicke Frau hält die beiden strahlenden Jungen an der Hand. Joakim ist nicht mit
auf dem Bild.
Die Art,
wie Kinder sich entschuldigen, ist einfach zauberhaft. Mein Blick fällt auf die
dicke Frau. Es ist schon seltsam, dass mich meine Söhne so sehen. Aber
eigentlich kennen sie mich nicht wirklich anders. Alles ist still. Vincent und
Luis spielen in ihrem Kinderzimmer. Als ich mich bei den beiden für ihr schönes
Bild bedankt habe, saßen sie auf dem Boden, umgeben von Wachsmalkreiden. Ich
betrachtete ihre großen Zeichnungen. Vincent hat einen Baum gemalt, Luis ein
Gewirr aus bunten Strichen, das sofort als moderne Kunst durchgehen könnte. Als
sie mich gesehen haben, sind sie aufgesprungen und haben ihre kleinen speckigen
Arme um meine Beine geschlungen. Wenn sie lieb sind, dann sind sie wundervoll.
Aber sie sind nicht immer lieb.
„Hallo,
mein Schatz...“ Joakim schließt mich von hinten in die Arme. Ich lege meine
Hände auf seine.
„Hallo“,
sage ich müde.
„Ist alles
in Ordnung?“ Er beugt sich nach vorne und schaut mich von der Seite an. Ich
zucke mit den Schultern. „Was ist mit dir?“ Er geht um die Couch herum und
setzt sich neben mich. Ich blicke zu dem Foto auf dem Kaminsims. „Emma?“
„Es ist
nichts...“
Er legt
seinen Arm um mich. „Ich sehe doch, dass es dir nicht gut geht.“ Sanft streicht
er mir übers Haar.
„Ich bin
erschöpft“, sage ich angespannt.
„Soll ich
dir die Füße massieren?“ Ich schüttle den Kopf. „Oder soll ich uns etwas
kochen?“
„Nein,
Joakim, ist schon gut.“ Ich schaue ihn genervt an.
„Was ist
denn?“, fragt er gereizt.
„Ich bin
schwanger, sonst nichts...“
Er zieht
eine Braue hoch. „Und was genau soll das heißen?“
„Nichts...“
Ich schaue wieder zu dem Foto. Manchmal frage ich mich, ob Joakim glücklich
ist. Ich meine, ob er sich sein Leben so vorgestellt hat. Er ist Anfang
dreißig, verheiratet, Vater von zwei Kindern, und das Dritte ist unterwegs. Wir
fahren nie in den Urlaub – weil zu anstrengend und stressig – wir bekommen
eigentlich nie Besuch – weil zu anstrengend und stressig – wir gehen nie aus –
weil zu anstrengend und stressig. Joakim traut den Babysittern nicht über den
Weg und unsere Nachbarin mästet die Jungs. Dann wäre da noch seine Mutter. Ja.
Joakims Mutter.
Joakims
Mutter spricht so schnell mit mir, dass ich noch immer Probleme habe, sie zu
verstehen. Sie scheint ab und an einfach zu vergessen , dass Finnisch
nicht meine Muttersprache ist. Joakim betont zwar, dass sie mich wirklich mag,
aber so ganz glaube ich das nicht. Grete akzeptiert mich, ja, aber mögen? Wenn
sie nicht gerade meine Erziehung kritisiert, untergräbt sie meine Autorität,
indem sie Vincent ein Eis kauft, obwohl ich ihm gerade erkläre, dass es in
einer Stunde Abendessen gibt, und er deswegen keines haben kann. Sie lächelt
dann immer und sagt, dass man doch nicht immer so streng sein muss. Die
Deutschen und ihre Regeln... Wie oft ich diesen Satz schon gehört habe,
will ich gar nicht wissen. Und wenn sie nicht gerade meine Autorität
untergräbt, dann erzählt sie mir, dass sie ja damals neben dem Haushalt und den
Kindern auch noch gearbeitet hat, und sich dennoch nie so viel beschwert hat
wie ich. Dass ihre beiden Söhne vier Jahre auseinander geboren wurden und meine
nur elf Monate, macht dabei keinen Unterschied für sie. Vor ein paar Jahren
waren Grete und ich einmal gemeinsam einkaufen und trafen zufällig auf Hana,
Joakims Exfreundin. Dann ging es mehrere Stunden nur um Hana. Hana hat ja
immer... und mit Hana konnte Joakim... , und Hana war da immer
ganz anders... Abends hat sie dann Joakim zugeschwallt, dass Hana ja
noch immer ledig sei, dass sie nie über diese schreckliche Trennung hinweg
gekommen sei... Arme Hana.
Eine ganze
Weile habe ich das
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