Irgendwo dazwischen (komplett)
abstrahieren. Ein
echter Neuanfang tötet fast alles, was vorher war. Eine Beziehung kann nicht
halb enden. Wenn sie endet, ist das, wie wenn ein Knoten gelöst wird. Alles,
was daran hängt, fällt auseinander, das Gefüge geht kaputt. Und deswegen tut es
so weh.
Ich hätte
nie gedacht, dass sich mein Leben einmal in einem Supermarkt ändern würde. Ich
hätte aber auch nie gedacht, dass ein Glas Honig mich für den Rest meines
Lebens an Paul erinnern könnte.
Eine Stunde
später hänge ich kopfüber in den Einkaufstüten. „Ich gehe und decke den Tisch“,
sagt Lili und verschwindet mit einem riesigen Tablett voller Teller und Gläser.
„Ich komme
gleich nach.“ Sie strahlt mich an und klettert vorsichtig die Stufen zur
Terrasse hoch. Mein Blick fällt auf das weiße Dings an der Wand. Ich nehme
einen Papierfetzen von der Arbeitsfläche. Es ist ein Zitat über Australien, das
mich fasziniert. Zeitlos archaisch und zugleich aufregend neu . Ich öffne
den Kleber und schmiere den Papierfetzen ein, dann gehe ich zu dem weißen Dings
und klebe ihn unter Paul.
Ich schaue
auf die reichlich dekorierte Terrasse. Lili zündet die Fackeln an. Viele kleine
Flammen tanzen auf dem Tisch. Der Himmel prahlt mit seinem Sonnenuntergang.
„Ich hole die Anlage...“, sage ich zu Lili und gehe die Stufen hinunter. Als
ich wieder hoch komme, sitzt sie auf der Holzbank und schaut auf die vielen
kleinen Kerzen, die die Terrasse in warmes Licht tauchen.
„Machst du
wieder eine Kollage?“, fragt sie, als ich die Anlage anschließe.
„Ja“, sage
ich abgelenkt.
„Das ist
schön“, sagt sie leise. „Ich liebe deine Kollagen.“ Ich greife lächelnd nach
der erstbesten CD und lege sie ein. Sail away . Das war keine Absicht.
Lili und ich schauen uns an und wir beide fangen an zu lachen. „Was ist das für
eine CD?“, fragt sie melancholisch.
„Ich habe
sie beim Umzug gefunden.“
„Was ist da
noch drauf?“
„Wenn es
die CD ist, die ich denke, dass es ist, dann...“ Ich schlucke.
„Was
dann?“, fragt Lili.
„Dann ist
es die, die Paul nach Istrien zusammengestellt hat.“ Wir schweigen und lauschen
der Musik. Nach einer Weile schaue ich zu Lili. „Das war eine unglaubliche
Zeit...“
„Ja, das
war es“, antwortet sie verträumt. „Es war die beste Zeit.“
„Machst du
auf?“, frage ich Lili, als es um sieben klingelt. Sie nickt und springt die
Treppe hinunter. Ich drehe die Musik leiser, dann wenig später höre ich Stimmen
aus dem Wohnzimmer. Und weil ich gerade so schön melancholisch bin, schalte ich
wieder auf Lied Nummer eins.
„ Sail
away ?“, höre ich Emma aufschreien. Sie kommen die Treppen hoch. Emma bleibt
stehen und schaut sich um. „Es sieht wunderschön aus“, sagt sie anerkennend.
Sie kommt auf mich zu und nimmt mich in die Arme. „Schön, dich zu sehen.“
„Finde ich
auch“, sage ich rührselig. „Willst du was trinken?“
„Ja, gerne...“,
sagt sie strahlend.
„Und was?“
„Nen
Weißwein“, sagt sie enthusiastisch.
„Ist das
kein Problem wegen dem Stillen?“
„Das geht
schon in Ordnung...“, sagt sie grinsend. „Hab’ abgepumpt...“
Emma
Ich nehme
einen kleinen Schluck Wein. Dieser Abend erinnert mich an früher. Er erinnert
mich an eine Zeit voller Unbeschwertheit, an eine Zeit, in der alles aufregend
und neu war. Ich denke an Joakims und meinen ersten Kuss in der Eistee-Pfütze
und an den Abend mit Stefan am See. Ich denke an meinen Streit mit Lili und an
den kleinen Karton, mit dem ich auf meinem Bett saß, nachdem ich im Wohnzimmer
meiner Eltern mit Clemens geschlafen habe. Ich denke an den Tag, als ich Joakim
kennengelernt hatte, und daran, dass ich fast sechzig Euro für Bücher
ausgegeben habe. Ich denke an Clarissa und daran, dass ich sie und Joakim in
der Küche beobachtet habe. Ich denke an Istrien und an den dunkelgrünen VW-Bus.
Ich denke an das rauschende Meer und den Sternenhimmel. Ich denke an Paul und
Marie, und an das Video, das Marie auf der Fahrt gemacht hat. All diese
Erinnerungen sind wie unzählige Mosaiksteine meines Lebens. Sie
vervollständigen es. Sie vervollständigen mich .
„Wann kommt
Joakim?“, fragt Lili.
„Er kommt
um acht“, antworte ich noch immer in Gedanken versunken.
„Mit den
Kindern?“, fragt Marie.
„Ich
dachte, es wäre in Ordnung, dass sie mitkommen?“, sage ich unsicher.
„Ja, sicher
ist es das...“, sagt Marie lächelnd. „Ich wollte nur wissen, ob sie dabei sind
oder
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