Irgendwo dazwischen (komplett)
gelingen wird. Im Gegensatz zu Emma ist Marie nämlich loyal. Außerdem ist
Marie nicht da.
Emma
So ganz ohne Marie scheint Lili sich auf dem Schulgelände nicht
mehr frei bewegen zu können. Denn ich bin normalerweise die, an die sie sich
hängt. Lili hatte in der Schule nie viele Freunde. Und die, die sie hatte,
waren eher meine als ihre. Das hätte sie sich eben früher überlegen müssen. Es
ist auch bemerkenswert, dass Marie eigentlich erst meine Freundin war. Es
scheint eben Lilis Art zu sein, sich Menschen unter den Nagel zu reißen.
Menschen, denen etwas an mir liegt.
Marie und ich waren ab der Grundschule zusammen in einer Klasse.
Sie kam zu uns, als sie neun war. In der Grundschule hatten wir nicht so viel
miteinander zu tun. Sie war die Neue. Die mit den zwei Müttern. Doch ab der
fünften war das anders. Marie hat sich sehr verändert. Sie wurde sehr direkt.
Man wusste, dass man sich mit ihr besser nicht anlegen sollte. Sie hat mit
Latein, ich mit Französisch angefangen. Und so habe ich Lili kennengelernt. Sie
und ich saßen in der Französischklasse, Marie bei den Lateinern. Und weil ich
anfangs niemanden kannte, habe ich mich mit Marie angefreundet. Nach und nach
kam Lili dazu. Und noch etwas später ersetzte Lili dann Marie. Letztlich ist
Lili zum Bindeglied zwischen Marie und mir geworden. Sie wurden unzertrennlich.
Ich hatte immer das Gefühl, dass sie mir etwas verheimlichen. Da ist etwas, was
die beiden verbindet, wovon ich nichts weiß. Auch das hat mich immer verletzt.
Und trotzdem habe ich Lili nie darauf angesprochen.
Ich weiß, dass Lili auf Maries Beistand gehofft hat. Ich kenne
sie. Mit Marie ist sie weniger unsicher, weniger klein. Das liegt bestimmt auch
daran, dass Marie neben mir Lilis einzige wahre Freundin ist. Und ja, zugegeben,
ich habe auch keinen Stall an echten Freunden, und doch stehen sie hinter mir.
Und in diesem Fall ist es mir egal, was diese ganzen Mitläufer von mir halten.
Noch vor der ersten Stunde setzte ich mich zu Ella. Ella ist
bestimmt keine gute Freundin, doch sie eifert mir nach. Und weil sie mich
fragt, warum ich nicht mehr bei Lili sitzen möchte, erzähle ich ihr, dass Lili
mich hintergangen hat. Ich erzähle ihr alles. Angefangen von Lilis fast schon
bemitleidenswerter Schwärmerei für meinen Bruder, bis hin zu deren heimlicher
Liebesnacht. Ich lasse auch nicht aus, dass ich weiß, dass Elias mit Giselle
geschlafen hat. Kurz, ich bin indiskret. Doch das ist nun mal der
Kollateralschaden. Lili soll spüren, dass sie mich verloren hat. Sie soll
spüren, dass man Menschen, die man liebt, nicht so hintergehen darf. Und ich
werde dafür sorgen, dass sie sich allein fühlt.
Und auch wenn dieses Pochen nur klein ist, so höre ich mein
schlechtes Gewissen, das versucht, sich Gehör zu verschaffen. Doch ich
ignoriere es. Sie hat es nicht verdient, dass man Mitleid mit ihr hat.
Lili
Die Sitzordnung hat sich ein wenig verändert. Emma hat sich zu
Ella gesetzt. Ich sitze allein. Und weil jede Situation auch gute Seiten hat,
werde ich an diesem Tag nicht nur negativ überrascht. Leni, Emmas kleine
Schwester, ist voriges Jahr in unsere Klasse gekommen. Das war damals auch eine
mittlere Tragödie. Leni hat die zehnte Klasse übersprungen. Sie ist ohne
Zweifel Mamas und Papas kleiner Augenstern. Das hat Emma schon immer gestört.
Elias ist der große, tolle Sohn, der Stolz des Vaters und das Mark der Erde,
wenn es nach seiner Mutter geht. Lia studiert Architektur, nachdem sie ein
Spitzenabitur geliefert hat. Sie arbeitet als Model und das, nebenbei bemerkt,
ziemlich erfolgreich. Und sie war Schulsprecherin. Leni ist die jüngste. Sie
ist sehr intelligent und vergräbt sich in höherer Literatur im zarten Alter von
15 Jahren. Sie ist eines dieser Mädchen, das bildhübsch ist, und es nicht weiß.
Sie ist eines dieser Mädchen, das intelligent ist, und es nicht wirklich
glaubt. Und damit wird sie zu einer von den Frauen werden, an denen Männer ihre
anderen Frauen messen. Und Emma? Emma ist wunderschön. Sie liefert mittelmäßige
Noten, hat keine wirklichen Interessen, außer einkaufen zu gehen, und hat nicht
einmal die Pflichtlektüren der Schule gelesen. Sie schwört auf
Zusammenfassungen in Reklamheftchen oder auf meine detaillierten Erklärungen.
Emma ist irgendwo dazwischen. Und genau das hat sie immer verletzt. Na,
jedenfalls kommt Leni an diesem Morgen ins Klassenzimmer, sieht mich alleine am
Fenster sitzen, lächelt mich an und kommt sichern Schrittes
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