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Irgendwo dazwischen (komplett)

Irgendwo dazwischen (komplett)

Titel: Irgendwo dazwischen (komplett) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Freytag
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konnte auch keine Reizwäsche und keine
Therapie etwas ändern. Er blickt auf den blank polierten Tisch, und dann direkt
in ihre großen Augen. Erwartungsvolle Blicke, Schuldgefühle und Verlangen sind
eine gefährliche Mischung. Der Wein entfaltet seine volle Wirkung. Und doch ist
da dieser kleine Augenblick, in dem sie genau weiß, was sie tut. Sie sucht
nicht nach Ausreden. Sie gibt nach. Sie beugt sich dem Verlangen und der Lust.
Sie schläft mit ihm. Und während sie das tut, genießt sie es. Sie vergeht in
seinen Armen. In den Armen eines Fremden, der sie so angesehen hat, wie einst
mein Vater, als er noch Zeit dazu hatte. Wer ist also Schuld? Ist sie die Böse,
weil Ehebruch eben nicht zu tolerieren ist? Oder ist er selbst daran schuld,
weil er sie und ihre Bedürfnisse nicht gesehen hat?
    Meine Mutter hat mir das nicht so ausführlich erzählt. Ich habe
einige ihrer Streitigkeiten mitbekommen. Der Fremde hat auch einen Namen, den
mein Vater sich geweigert hat auszusprechen. Alex. Er wollte meine Mutter
wirklich. Er wollte sein Leben für sie ändern. Sie wollte das nicht. Es ging
nicht um Alex. Es ging um das, was er mit ihr gemacht hat. Es ging um Sex, es
ging um Lust und es ging um Zeit. Sie hat ihn noch einige Male gesehen. Das
schlechte Gewissen schmerzte weniger und weniger, denn mein Vater bemerkte
keine Veränderung. Er war zu beschäftigt. Eines Abends platzte der Knoten. Alex
rief an. Er wollte eine Entscheidung, denn er könne so nicht weitermachen. Er
liebe sie. Für ihn sei das alles ein bisschen mehr als reiner Sex, Lust und
Zeit gewesen. Eigentlich tut er mir bei dieser ganzen Geschichte am meisten
Leid, denn er konnte nichts dafür. Wenn man so will, war er einfach zur
falschen Zeit am falschen Ort. Das nennt man dann wohl Pech. Mein Vater war
kreidebleich. Er hat nichts gesagt. Doch ich weiß noch, dass ich ihn an jenem
Abend zum ersten Mal in meinem Leben habe weinen sehen. Für ihn ist eine Welt
zusammengebrochen. Er hat sich noch mehr zurückgezogen. Zu dieser Zeit war ich
mir sicher, meine Eltern würden sich trennen. Aber das haben sie nicht. Und das
ist der Punkt. Meine Mutter sagte damals, sie habe sich dafür entschieden, an
ihrer Ehe zu arbeiten. Und sie stellte meinen Vater vor ein Ultimatum. Entweder
könnten er und sie gemeinsam an ihrer Beziehung arbeiten und sehen, was daraus
werden würde, oder sie könnten sich trennen. Sie haben gearbeitet. Hart
gearbeitet. Doch es hat sich gelohnt. Mein Vater hat schließlich seinen Teil an
der ganzen Sache nicht nur gesehen, sondern eingestanden. Er hat eine kleine
Kanzlei gegründet, die viel weniger Zeit frisst und die es ihm ermöglicht, mehr
Zeit bei seiner Frau zu verbringen. Und noch wichtiger, nicht nur bei ihr,
sondern tatsächlich mit ihr. Ich kann mir nicht einmal ansatzweise vorstellen,
wie es für ihn gewesen sein muss, zum ersten Mal wieder mit ihr zu schlafen,
aber sie haben auch das geschafft. Und seitdem höre ich ab und zu sehr viel
Sex, Lust und Zeit aus ihrem Schlafzimmer. Und auch wenn es bei uns Zuhause
nicht ganz so zugeht wie bei den Altmanns, so haben meine Eltern doch eine
innige und echte Beziehung. Und die wurde ihnen nicht etwa geschenkt, sondern
sie haben hart daran gearbeitet.
    Vor ein paar Wochen habe ich meine Mutter gehört, als sie zu
meinem Vater gesagt hat, dass das Schlimmste für sie gewesen war, ihn selbst
dann noch zu vermissen, wenn er anwesend war. Sie sagte, sie konnte die Lügen
nur ertragen, weil sie sich immer wieder sagte, dass er ohnehin nicht da sei,
sogar wenn er neben ihr im Bett lag. Es ist wirklich schlimm, beide verstehen
zu können. Aber das tue ich. Es wäre nur schön, wenn ich dieses Verständnis bei
meinen eigenen Problemen auch hätte.
     
    Emma
    „Hast du Clemens gesehen?“
    „Nein, Emma, tut mir leid.“
    Ich suche ihn nun schon seit einer Stunde. Ich will endlich gehen.
Ich wünschte, ich hätte es Lili nicht gesagt. Hätte sie mich nicht so verletzt,
dann hätte ich die Klappe gehalten. Glaube ich zumindest. Es ist zu einer
richtigen Schlammschlacht geworden. Mit diesem Satz habe ich unserer
Freundschaft den Todesstoß versetzt.
    Ich gehe in Richtung Eingang. Die Türe zur Toilette ist
abgesperrt. Dann gehe ich eben oben. Ich ziehe mich die Treppen hinauf und gehe
durch den düsteren Gang. Und dann höre ich eine Frau stöhnen. Und ich höre ein
konstantes Rumsen. Es kommt aus dem Klo. Na toll, können die nicht woanders
vögeln? Es gibt vielleicht noch ein paar Menschen, die

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