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Irgendwo dazwischen (komplett)

Irgendwo dazwischen (komplett)

Titel: Irgendwo dazwischen (komplett) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Freytag
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ich kann es nicht. Ja, ich würde Emma und
Elias zur selben Zeit zutiefst verletzen. Aber ich würde mich selbst verraten. Ich
empfinde nichts für Clemens. Und ich würde mit geschlossenen Augen doch nur an
Elias denken und mir vormachen, es wären seine Hände, die mich berühren. Und
egal, was Emma getan hat, das würde ich ihr nie antun.
    „Lili... Du machst mich fertig...“
    „Das ist ja schön und gut Clemens“, sage ich und bin schwer damit
beschäftigt, seine Hände in Schach zu halten, „Ich bin nicht nur nicht an dir
interessiert und ich habe nicht nur keine Lust, ich würde es nicht einmal tun,
wenn ich es wollte und mich die Lust förmlich zerreißen würde.“
    „Je mehr du dich wehrst, desto mehr will ich dich.“ Das ist ja
krank. „Du hast so etwas an dir, ich weiß auch nicht, was es ist, aber...“
    „Du hast zu viel getrunken, Clemens“, sage ich und stehe auf. „Und
du hast eine Freundin.“
    „Ist ja gut...“, sagt er schließlich und nimmt seine Hände weg.
„Du bist eben prüde.“
    „Wenn du das sagst...“ Und plötzlich tut Emma mir furchtbar Leid.
Denn ich weiß, er bedeutet ihr wirklich viel. Auch, wenn ich inzwischen nicht
mehr verstehe, warum.
    Ich sitze im Bus in Richtung Pasing. Bis auf mich ist der Bus
vollkommen leer. Um mich herum prasseln Tropfen an die Scheiben, der Himmel ist
tiefschwarz, und diese Stimmung spiegelt genau meine Gefühle wider. Meine
Mutter hat einmal meinen Vater betrogen. Ich weiß nicht, warum mir das gerade
jetzt einfällt, doch es schwirrt mir durch den Kopf. Und es ist mir schon klar,
dass das in keinerlei Relation zu dem steht, was mir heute passiert ist. Denn
sie waren seit vielen Jahren zusammen und Elias hat mich technisch nicht einmal
betrogen. Ich schalte mein Handy auf lautlos. Zumindest nicht so, wie man das
gemeinhin versteht. Betrogen, meine ich. Vielleicht hat er mich um seine
Ehrlichkeit betrogen, doch ansonsten war er mir nichts schuldig. Wie auch
immer. Meine Eltern steckten einmal in einer schlimmen Krise. Und es ist die
Frage, ob sie in dieser Krise gesteckt haben, weil meine Mutter meinen Vater
betrogen hat, oder ob die Krise schon viel länger da war. Wo war der Anfang?
War sie schuld? Und war er unschuldig, weil er sie nicht betrogen hat? Könnte
es nicht sein, dass er ebenso schuldig war wie sie? Ich weiß noch genau, wie
sie mir damals ihre Version erzählt hat. Sie war ehrlich. Es ging nicht um
Opfer und Täter, es ging um Tatsachen. Zumindest in ihren Augen. Mein Vater ist
Anwalt. Er ist ein guter Typ. Ehrlich. Fairness, Objektivität und
Fürsorglichkeit machen ihn aus. Doch so ein Job bedeutet Verpflichtungen.
Schwierige Fälle, Überstunden und ständige Müdigkeit sind die Kehrseite. Er hat
das alles für seine Familie getan. Oder doch nicht? Klingt das vielleicht
einfach nobler? Vielleicht hat er es unter anderem für uns getan, doch es gab
Zeiten, da schien er es eher für sich selbst zu tun. Er war der Gewinner. Und
dieser Gewinner hat seine Frau nicht mehr gesehen. Er war vertieft in Recht und
Unrecht. Er war so sehr mit seinen Mandanten beschäftigt, dass er vergessen
hat, über seine Karriere hinaus zu sehen. Seine Frau unterdessen, eine
erfolgreiche Dolmetscherin, kommt viel herum. Und plötzlich auf einem Kongress
in New York trifft sie einen Mann. Und er sieht sie so, wie ihr Mann es seit
Jahren nicht mehr tut. Er bemerkt sie und ihre Bedürfnisse. Er will sie. Und
sie hat Zweifel. Denn sie liebt ihren Mann. Sie lässt den aufmerksamen und gut
aussehenden Mann abblitzen. Dieses Mal. Wenige Monate später, ihr Mann ist noch
immer mit einem besonderen Härtefall beschäftigt, trifft sie ihn wieder.
Zufällige Blicke, schüchterne Berührungen, lange Gespräche. Sie hat nie wieder
an diesen Fremden gedacht. Doch als er dann plötzlich vor ihr steht, da fällt
ihr wieder ein, wie gut sich seine Blicke anfühlen. Nach dem Kongress lädt er
sie auf ein harmloses Essen ein. Essen muss schließlich jeder, warum also nicht
zusammen gehen? Wo man in der fremden Stadt doch ohnehin niemanden kennt. Er
hat Humor, er hat Stil, er hat Zeit. Vielleicht ist das das Entscheidende. Er
nimmt sich Zeit für sie. Er lächelt, er berührt ihre Hand, er macht sie
verlegen. Sie fühlt sich wie damals, als sie sich noch jung und schön gefühlt
hat. Er ist perfekt, nur leider liebt sie ihn nicht. In diesem Moment macht das
nichts aus, denn er ist da, er begehrt sie. Und sie hat sich seit Jahren nicht
mehr begehrenswert gefühlt. Daran

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