Irgendwo dazwischen (komplett)
Kondom liegt im Müll neben
mir. Die Kissen riechen nach ihm.
Ich wollte nie zu so einer werden. Ich habe nie wegen eines Mannes
geweint. Gut, dafür wegen Frauen, oder zumindest wegen einer. Und nun heule ich
wie ein Schlosshund wegen Paul. Ausgerechnet Paul. Ich kann die Ironie des
Schicksals förmlich durch mein Zimmer tanzen sehen. Sie lacht mich aus, und das
zu Recht.
Ich frage mich, wie es Lili wohl geht. Und ich spiele kurz mit dem
Gedanken, sie anzurufen. Aber ich würde ihr gerade noch fehlen. Die lesbische
Marie, die sich plötzlich in ihren Kindergartenfreund verliebt hat.
In meinem Kopf sind so viele Gedanken, dass ich ihn am liebsten
abnehmen würde. Was, wenn er gerade mit ihr schläft? Oder noch schlimmer, was
ist, wenn er sich in sie verliebt hat? Hätte er dann mit mir geschlafen? Es war
schließlich das letzte Mal. Ich übertreibe sicher. Ich versuche mir
vorzustellen, wie ich mit Lili geschlafen habe. Das hat immer gereicht, um mich
in Stimmung zu bringen. Doch ständig stört Paul. Es ist zwar schön, an Lilis
und meine gemeinsame Nacht zu denken, aber immer kommt mir das Bild in den
Kopf, wie er auf meinem Bett kniet und sich das Kondom überstreift. Mich erregt
dabei am meisten, wie er mich angeschaut, und dass er einen Ständer hat. Hallo!
Ich bin lesbisch. Und ich habe lange gebraucht, mich damit abzufinden. Und
jetzt, wo ich es absolut in Ordnung finde, da liege ich stöhnend unter Paul.
Und auch wenn es zugegebenermaßen peinlich ist, nehme ich die
Kondomhülle aus dem Müll und lege sie in mein Tagebuch. Als Erinnerung. Als
Erinnerung an das letzte Mal, dass Paul und ich miteinander geschlafen haben.
Und dann schlafe ich mit roten Augen und einer verstopften Nase
ein. Ich hasse ihn. Und er fehlt mir.
Lili
Die nächste Station ist endlich Pasing. Und weil ich mich so
alleine in Bahnhofsgegenden nicht besonders wohl fühle, beschließe ich, meine
Mutter anzurufen, den einen Menschen, der immer für mich da war.
Als der Bus anhält, gehe ich zur vorderen Tür und verabschiede
mich vom Busfahrer, meinem stillen Freund. Ich gehe zum Burger King und krame
nach meinem Handy. Fünf Anrufe in Abwesenheit. Fünf Mal eine unbekannte Nummer.
Egal. Kaum will ich meine Mutter anrufen, blinkt das Display hysterisch. Und
wieder ist es eine unbekannte Nummer. Da ist einerseits der Gedanke, dass es
höchstwahrscheinlich jemand sein wird, den ich nicht sprechen will, aber
andererseits ist da die Neugierde. Ich kann ja immer noch auflegen... „Hallo“,
sage ich leise, aber bestimmt. Niemand sagt etwas, es ist nur Schluchzen zu
hören. „Wer ist denn da?“, frage ich, und meine Stimme zittert ein wenig.
„Lili?“, sagt eine Stimme, und diese Stimme zittert noch viel mehr
als meine. Das kann nicht sein. Es ist Emma. Und wenn nicht, dann jemand, der
genauso klingt wie sie.
„Emma?“, frage ich unsicher.
„Bitte leg nicht auf“, schluchzt sie. „Bitte...“ Ich fasse es
nicht. Nach allem, was sie sich geleistet hat, traut sie sich tatsächlich noch,
mich anzurufen. „Bist du noch dran?“
„Ja“, antworte ich kalt. „Was willst du?“
„Ich kann verstehen, dass du nicht mit mir reden willst...“
„Stimmt, ich will nicht mit dir reden“, unterbreche ich sie, „Sag
was du willst und dann lass mich in Ruhe.“
„Hast du Zeit?“
„Bitte?“ Ich bin fassungslos.
„Können wir uns treffen?“, fragt sie, und ich höre, dass sie
weint.
„Wozu?“
„Bitte Lili... ich weiß nicht, wo ich hin soll, ich weiß nicht,
mit wem ich reden...“
„Vielleicht mit einem deiner tollen neuen Freunde, Emma... Wie
wäre es denn mit Ella?“ Und als ich diesen Namen sage, bricht Emma am anderen
Ende der Leitung förmlich zusammen. „Emma? Emma, was ist denn passiert?“ Und in
diesem Moment sind alle Demütigungen vergessen. Es ist, als wäre nie etwas
zwischen uns vorgefallen. Denn sie braucht mich. Und ich brauche Emma. Ich
fange an zu weinen, ohne das wirklich zu bemerken. „Was ist passiert?“,
wiederhole ich meine Frage. „Emma!“
„Können wir uns treffen?“, fragt sie, und ich fühle mich nicht im
Stande, sie abzuweisen.
„Sicher“, antworte ich. „Wann und wo?“
„So schnell wie möglich. Wo bist du?“
„In Pasing“, antworte ich. „Und wo genau?“ „Nordseite. Vorm Burger
King“
„Gut, ich komme da hin. Ich sitze schon im Taxi“, sagt sie
schnell.
„Gut, dann bis gleich.“
Und als ich gerade auflegen will, sagt sie noch, „Lili...
Danke...“, und
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