Irgendwo dazwischen (komplett)
zehn Minuten
war ich in meinen Augen das Opfer und Emma der Täter. Ich schiebe sie zu meiner
Bank. Als wir sitzen, schaue ich sie an. „Er hat mit Ella geschlafen“, sage ich
schließlich. Erst spiegelt sich in ihrem Gesicht Verwunderung wider, doch dann
füllen sich ihre Augen erneut mit Tränen, und schließlich nickt sie. „Du hast
sie erwischt?“
Sie blickt zu Boden und nickt noch einmal. „Woher weißt du das?“
„Nur so eine Vermutung.“
„Ja, aber warum?“ Ich ringe mit mir selbst. Soll ich es ihr sagen?
Es wird sie nur verletzen, und ich weiß nicht, ob sie das noch aushalten würde.
„Lili?“ unterbricht Emma mein Schweigen. „Sag es mir.“
„Okay.“ Es fällt mir wirklich schwer, das zu sagen. Aber dann tue
ich es. „Er war echt betrunken und hat sich an mich ran gemacht.“ Ihr Gesicht
verzieht sich, und sie stützt den Kopf in beide Hände.
„Und du hast nein gesagt.“, schluchzt sie.
„War das eine Frage?“
„Nein, ich weiß, dass du das nie tun würdest“, entgegnet sie. „Das
stimmt doch, oder? Du würdest sowas nie tun, richtig?“, fragt sie dann und
schaut mich mit großen verheulten Augen an. Ihr schönes Gesicht ist komplett
verschmiert, kleine Äderchen in ihren Augen sind geplatzt, und ihre Nase läuft.
„Nein, das würde ich nicht“, antworte ich.
Erleichtert sackt sie in meine Arme. „Du hast mir gefehlt,
Lili...“
Ich stehe auf und ziehe sie mit mir hoch. Diese Situation erinnert
mich an den Abend, als das alles mit Elias angefangen hat. Als er mich in sein
Zimmer getragen hat. Hat es an diesem Abend wirklich erst angefangen? Oder war
da schon die ganze Zeit etwas da? Na, jedenfalls bin dieses Mal ich die Stütze.
Emma klammert sich an mich, als wäre ich der Rettungsring, der sie in der
tosenden See vor dem Ertrinken retten könnte. „Lass uns gehen“, sage ich sanft.
„Aber wohin denn?“, fragt Emma, und ihre Stimme klingt, als hätte
sie eine schlimme Nasennebenhöhlenentzündung.
„Zu mir“, antworte ich. Und ohne ihre Antwort abzuwarten, rufe ich
meine Mutter an. „Vielen Dank Mama... Ja vorm Burger King... erzähl ich dir
später... Nein, nein... Also bis gleich...“ Als ich auflege, bin ich
erleichtert. Ich bin erleichtert, weil meine Mutter kommt. In solchen Momenten
merkt man, was der Unterschied ist, zwischen sich erwachsen zu fühlen und
erwachsen zu sein.
„Es tut mir Leid, Lili“, flüstert Emma in die Stille.
Ich schaue in ihr verheultes Gesicht. „Mir tut es auch Leid...“
Mein Blick fällt wieder auf den braunen Strickmantel, der mich an Emma
irgendwie irritiert. „Was ist das eigentlich für ein komischer Mantel?“
Emma schaut an sich hinunter. „Ich konnte meine Jacke nicht finden
und dann habe ich einfach irgendwas angezogen.“
„Hm“, sage ich. „Der steht dir nicht.“
„Ja, ich weiß.“
Zehn Minuten später, in denen wir überwiegend schweigen, steigen
wir ins Auto meiner Mutter. „Ihr seht ja furchtbar aus“, sagt sie erschrocken.
„Was ist denn passiert?“ Ich schaue in den Spiegel. Und ich muss ihr recht
geben. Wir sehen wirklich furchtbar aus. Ich dachte, Emma sähe schlimm aus,
aber ich sehe kein bisschen besser aus als sie.
„Männer...“, schluchzt Emma.
„Ja, Männer“, stimme ich ihr zu. Und auch wenn ich das Gesicht
meiner Mutter nicht sehen kann, weiß ich, dass sie lächelt. Und nicht etwa,
weil sie uns nicht ernst nimmt, sondern weil sie erleichtert ist. Erleichtert,
dass es nur um Männer geht.
Marie
Mitten in der Nacht klingelt mein Handy. Ich taste danach und
finde es neben meinem Kissen. Das Display ist so grell, dass ich es nicht
anschauen kann.
Mit zusammengekniffenen Augen versuche ich zu erkennen, wer um
diese Uhrzeit anruft. Und ich ertappe mich dabei, dass ich hoffe, dass es Paul
ist. Wenn mein erster Gedanke nach dem Aufwachen Paul ist, dann ist es wirklich
ernst. Und dann erkennen meine müden Augen einen Namen. Und es ist sein Name.
Plötzlich bin ich wach. Ich sitze kerzengerade im Bett und starre auf das
Display. Dann gehe ich ran. „Ja?“
„Marie?“
„Ja... Was gibt’s?“
„Hab ich dich etwa geweckt?“
„Nein, ich war wach“, lüge ich.
„Bist du noch auf der Party?“
„Nein.“
„Hast du mich vorhin angerufen?“
„Wenn du mit vorhin vor einigen Stunden meinst, dann ja“, sage ich
unterkühlt.
„Bist du sauer?“
„Ich? Nein, wieso auch?“
„Hör zu, es tut mir Leid, dass Helene dran gegangen ist... ich...“
„Du schuldest
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