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Irgendwo ganz anders

Irgendwo ganz anders

Titel: Irgendwo ganz anders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasper Fforde
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theoretischen Positionen der Gattungen darstellte, die wie funkelnde Sterne im Nichts hingen.
    An der linken Seitenwand in unmittelbarer Nähe des Podiums befand sich das Read-o-Meter, das alle fünf Sekunden die neueste Leserzahl anzeigte. Auf diese Weise konnte man jederzeit sehen, wie viele Bücher in den letzten vierundzwanzig Stunden aufgeschlagen und gelesen worden waren. Das Instrument erinnerte daran, dass die Leserzahl ständig fiel, denn jedes Mal, wenn die Ziffern wechselten, ging die Leserzahl weiter nach unten. Manchmal in kleinen, aber oft auch in sehr großen Schritten. Diese Entwicklung hielt nun schon seit fünf Jahren an, und niemand in der BuchWelt schien zu wissen, was man dagegen tun könnte. Der Redner, der gerade am Mikrofon stand, sprach ziemlich laut, aber der Saal war höchstens zu einem Drittel gefüllt.
    »Die Hauptgattungen sitzen ganz vorn«, flüsterte ich. »Die Untergattungen sitzen dahinter, geordnet nach Bedeutung und Größe. Obwohl der GattungsRat die allgemeinen gesetzgeberischen Entscheidungen fällt, haben die jeweiligen Gattungen auf örtlicher Ebene einen gewissen Gestaltungsspielraum. Jede von ihnen stellt einen Senator, um ihre Interessen vor dem GattungsRat zu vertreten. Im Sitzungssaal geht es oft gar nicht sehr demokratisch zu, sondern mehr wie beim Pferdehandel.«
    »Wer spricht denn gerade?«, fragte sie, als ein neuer Abgeordneter ans Rednerpult trat. Er sah gut, wenn auch ein wenig dumm aus und trug keine Schuhe. Seine Haare machten den Eindruck, als hätte er sie seit dem Aufstehen noch nicht gebürstet, und sein Hemd stand bis zur Taille offen.
    »Das ist wohl Speedy Muffler, der Senator der Scharfen Frauenromane, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob das sein wirklicher Name ist.«
    »Die haben einen Senator?«
    »Natürlich. Jede Gattung hat einen, und wenn die Untergattungen populär genug sind, kriegt sie noch mehr. Die Spannungsliteratur zum Beispiel hat drei, weil hier zwischen politischen Thrillern, Spionageromanen und Abenteuergeschichten unterschieden wird. Heiteres und Comedy haben sechs, Krimis zwölf.«
    »Ich verstehe. Und was hat der Typ von den Scharfen Romanen für ein Problem?«
    »Es handelt sich um einen Grenzstreit. Obwohl jedes Buch für sich allein im Inter-Genre-Raum schwebt, nähern sich die Bücher der gleichen Gattung doch so weit an, dass sie Klumpen im Nichts bilden. Das dient dem wechselseitigen Schutz und freien Gedankenaustausch, und die Figuren können sich besser von einem Buch zum anderen bewegen.«
    »Ich verstehe. Gleich und gleich gesellt sich gern.«
    »Ja, so ungefähr. Deswegen sind Thriller und Krimis und Menschliche Tragödien auch nebeneinander gestellt worden – ein schönes Beispiel für geglückte Gattungsanordnung.«
    »Und was ist nun mit den Scharfen Romanen?«
    »Irgendein Idiot hat sie zwischen die Religiösen und die Feministischen Romane gestellt. Mit den anderen Nachbarn, den Erotischen Romanen und der Comedy, kommen sie gut aus, aber die Religiösen und die Feministinnen lehnen die Scharfen Romane vollkommen ab und schießen ständig intellektuelles Sperrfeuer und böse Kritiken über die Grenze, was allerdings keinen Schaden anrichtet, weil die Leute in den Scharfen Romanen sie gar nicht verstehen. Die Scharfen Romane ihrerseits schicken ihre bösen Jungs auf Höschen-Jagd über die Grenze, was bei den Feministinnen gar nicht und bei den Religiösen noch weniger ankommt. Das Ganze hätte einen richtigen Krieg geben können, wenn der Gat-tungsRat nicht einen Waffenstillstand vermittelt hätte. Er garantiert den Scharfen Romanen ihre Unabhängigkeit, solange sie bestimmte ... Sanktionen hinnehmen.«
    »Und was sind das für Sanktionen?«
    »Den Scharfen Romanen sind alle originellen Metaphern, präzisen Charakterbilder und genauen Beschreibungen streng verboten. Speedy Muffler ist ein bisschen größenwahnsinnig, und die Nachbarn dachten, diese Beschränkungen wären besser als ein offener Krieg. Aber die Scharfen Romane behaupten jetzt, sie würden in ihrer literarischen Entwicklung behindert.«
    »Ich kann nicht sagen, dass ich diese Ansprüche sehr ernst nehme.«
    »Deine Meinung ist vollkommen irrelevant. Deine Aufgabe bei der Jurisfiktion besteht darin –«
    Ich unterbrach meine Ausführungen, denn unten im Saal war plötzlich die Hölle los. In heftiger, aber wohlorchestrierter Erregung begannen die Delegierten zu schimpfen, mit ihren Pultdeckeln zu klappern und mit zusammengeknülltem Papier zu werfen.

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