Irgendwo ganz anders
Jobsworth.
»Eine neue Form von Buch zu schaffen – ein interaktives Buch, das als unbeschriebenes Blatt beginnt, nur mit einer Anzahl von etwa zehn grundlegenden Charakteren. Im Verlauf des Schreibens wird eine Umfrage unter den Lesern veranstaltet, wen sie behalten und wen sie rausschmeißen wollen. Sobald wir das wissen, schreiben wir weiter und befragen die Leser am Ende jedes Kapitels erneut. Ich würde es als ›Reality-Book-Show‹ bezeichnen – das Leben, wie es wirklich ist, mit all den menschlichen Interaktionen, die es so reich machen.«
»Und dazu gehören auch die langweiligen Teile des Lebens?«, fragte ich und dachte an meine einzige Erfahrung mit Reality-Fernsehen.
»Ich plädiere ja nicht dafür, dass alle Bücher so sein sollen«, fügte Baxter eiligst hinzu, »aber wir wollen einen jugendlichen Markt erschließen, und dazu müssen sie hip sein. Die Gesellschaft bewegt sich weiter, und wenn wir nicht mit ihr gehen, verschwinden die Bücher und wir mit ihnen.«
Als wollte er sein Argument unterstreichen, wedelte er mit der Hand in Richtung Read-o-Meter, das zur Bekräftigung um weitere siebzehn Bücher fiel.
»Warum schreiben wir nicht einfach bessere Bücher?«, fragte ich.
»Weil es teuer und zeitaufwendig ist und weil es keine Garantie gibt, dass es funktioniert«, sagte Senator Aimsworth und ergriff zum ersten Mal das Wort. »Soweit ich die wirkliche Welt kenne, ist Interaktion ein todsicherer Treffer. Baxter hat recht. Reality-Book-Shows sind die Zukunft, denn sie basieren auf demokratischen Entscheidungen, an denen die Autoren und die Leser beteiligt sind. Gebt den Leuten, was sie wollen, und zwar so, wie sie es wollen.«
»Wenn der Ball erst einmal bergab rollt, kann er nicht mehr aufgehalten werden«, bemerkte ich. »Es ist der falsche Weg, ich spüre es.«
»Ihre traditionelle Einstellung ist fehl am Platz, Ms Next. Was kann es schaden, dem Leser eine Wahlmöglichkeit zu geben? Ich sage, wir stimmen ab. Wer ist dafür, ein interaktives Reality-Book-Projekt mit den nötigen Mitteln zu fördern?«
Alle hoben die Hand – außer mir und Senator Beauty. Ich, weil ich dagegen war, und Beauty, weil er Hufe hatte. Das machte aber nichts. Seine Stimme war auch so eine Gegenstimme.
»Wie üblich weiß unsere Nonkonformistin alles besser«, knurrte der Senator. »Ihre Einwände, Ms Next?«
Ich holte tief Luft.
»Der springende Punkt ist doch, dass wir keine Bücher verkaufen , meine Damen und Herren. Das hier ist keine Marketingkonferenz mit Absatzerwartungen, Verkaufszielen, Marktforschung und Testgruppen. Das Buch ist das Medium der Übermittlung, aber was wir verbreiten, das sind Geschichten. Menschen mögen Geschichten. Menschen brauchen Geschichten. Geschichten sind gut. Geschichten funktionieren. Sie fesseln und läutern den menschlichen Geist. Geschichten in all ihren Formen – vom Leben, von der Liebe, vom Wissen – haben den Vorwärtsdrang der Menschheit begleitet. Selbst der letzte atmende Mensch wird noch ein Bedürfnis nach Geschichten haben. Sie werden es sehen! Und wir sollten diesem letzten Menschen beistehen. Ich sage, wir sollten unser Vertrauen in gute und gut erzählte Geschichten setzen und die Interaktion vergessen. Sie ist lediglich eine Marotte im Außenland und wird irgendwann einmal vorbei sein. Anstatt uns der Lesermeinung zu beugen, sollten wir sie an die Hand nehmen.«
Ich machte eine kleine Pause und blickte in die Menge der nicht überzeugten Gesichter. Das Read-o-Meter fiel klickend um weitere achtundzwanzig Bücher.
»Die fallenden Leserzahlen beunruhigen mich genauso wie alle anderen, aber verzweifelte Maßnahmen sind keine Lösung. Wir müssen die Ursachen angehen und herausfinden, warum die Leute die Sendung Wer kriegt die Spenderniere? einem guten Buch vorziehen. Wenn wir keine besseren Bücher schaffen können , sollten wir mehr tun, als uns einfach Werbetricks auszudenken und uns auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einzulassen.«
Stille trat ein. Ich meinte etwa fünfundsiebzig Prozent des Gesagten, der Rest diente dazu, die Botschaft zu verstärken. Auf diesem Planeten musste Platz sein für Doktor Schiwago und Total-Überholung mit dem Skalpell , aber die Waagschale hing schon weit genug nach unten – und diesen Prozess wollte ich stoppen. Alle starrten mich wortlos an, und Jobsworth trommelte mit den Fingern auf dem Tisch.
»Heißt das, Sie üben Ihr Vetorecht aus?«
»Das heißt es.«
Die anderen Delegierten gaben ein kollektives
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