Irgendwo ganz anders
Waffe, die jedes Komitee immer fürchtet – das Veto. Trotz der Feindschaft, die es mir einbrachte, versuchte ich, meine Pflichten nach bestem Wissen und Gewissen zu erfüllen.
Ich merkte, dass sich Thursday5 jedes Mal erwartungsvoll umdrehte, wenn sich die Tür öffnete, aber außer den üblichen zehn Mitgliedern des Komitees und ihrem Stab tauchte niemand auf.
»Ich wünsche allen einen guten Tag«, sagte Jobsworth, der aufgestanden war, um uns zu begrüßen. »Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass Mr Harry Potter auf Grund von Copyright-Beschränkungen nicht teilnehmen kann, und deshalb verschieben wir den Tagesordnungspunkt ›Rekrutierung von Charakteren für Videospiele‹ auf einen späteren Zeitpunkt.«
Es entstand Gemurre unter den Senatoren, und ich bemerkte, dass der eine oder andere sein Autogrammheft wieder in die Tasche steckte.
»Nun zu den entschuldigt Fehlenden«, fuhr Jobsworth fort. »Jacob Marley ist zu lebendig, um zu erscheinen, Snorkmaiden ist beim Friseur und Senator Zigo ist wieder einmal unabkömmlich. Also beginnen wir. Tagesordnungspunkt eins: das Grammasitenproblem. Mr Bamford?«
Senator Bamford war ein kleiner Mann mit dünnem blondem Haar und so winzigen Augen, dass sie fast nicht vorhanden waren. Unter seiner Senatorenrobe trug er einen Blaumann. Seit fast vier Jahrzehnten kümmerte er sich um das von uns so genannte »Grammasitenproblem«, aber offenbar vergeblich. Die Raubzüge der kleinen parasitären Tiere in die Bücher, von denen sie sich ernährten, richteten großen Schaden an und stellten eine permanente Belastung für den Etat dar. Trotz intensiver Bekämpfung war ihre Anzahl jetzt nicht kleiner als früher. Eine Massenvernichtung wurde oft vorgeschlagen, aber die Vertreter des naturalistischen Genres waren vehement dagegen. Die Tiere mochten unbestritten Schädlinge sein, aber die Jungen waren niedlich und kuschelig und hatten große Augen, was definitiv ein evolutionärer Vorteil im Überlebenskampf war.
»Das Problem ist so bekannt, dass ich es hier nicht noch einmal schildern will, sondern mich mit der Bemerkung begnüge, dass sich die Anzahl der Grammasiten im Laufe der Jahre dramatisch erhöht hat. Um die Naturalisten zufriedenzustellen, schlage ich ein Programm der Textualisierung vor, bei dem repräsentative Exemplare der etwa siebenhundert Spezies mit langatmigen Beschreibungen in eintönigen wissenschaftlichen Wälzern konserviert werden. Auf diese Weise können wir das Tier erhalten und sogar sein Aussterben im Bedarfsfall rückgängig machen und die Spezies trotzdem ausrotten.«
Bamford setzte sich wieder und Jobsworth verlangte eine Abstimmung. Wir waren alle dafür. Grammasiten waren eine Plage, gegen die man etwas unternehmen musste.
»Tagesordnungspunkt zwei«, sagte Jobsworth. »Fallende Leserzahlen. Baxter?«
Baxter stand auf und richtete das Wort an die Versammelten, obwohl die anderen Delegierten – mit der möglichen Ausnahme von Beauty – Jobsworth ohnehin so gut wie immer zustimmten. Die Person, die Baxter eigentlich hätte ansprechen müssen, war ich. Da ich als Einzige ein Vetorecht besaß, kam es auf meine Stimme an.
»Die fallenden Leserzahlen geben schon seit etlichen Jahren Anlass zur Besorgnis, und auch die erhöhten Anstrengungen im Brunnen der Manuskripte, neue spannende Bücher zu konstruieren, haben bei der lesenden Öffentlichkeit kein nachhaltiges Interesse auslösen können. Deshalb hat der Ausschuss zur Vergrößerung der Leserschaft, kurz AVL, einige radikale Ideen entwickelt, um das Interesse an Romanen neu zu entfachen.«
Er blätterte eine Seite um und hüstelte, bevor er fortfuhr.
»Nach einer Erkundungsmission in der wirklichen Welt sind wir zu dem Schluss gekommen, dass Interaktion das Schlüsselwort der jüngeren Generation ist. Für viele Leser ist die Vermittlung von Informationen in Büchern zu einseitig. Eine neue Form von Roman, bei dem der Leser miteinbezogen wird, ist der einzig gangbare Weg nach vorn.«
»Aber widerspricht das nicht dem Sinn von Büchern?«, fragte Black Beauty und stampfte ärgerlich mit einem Vorderhuf auf dem Tisch auf, wobei ein Tintenfass umkippte. »Das Vergnügen besteht doch in der Entwicklung der Handlung. Selbst wenn wir wissen, was passieren wird, ist der Weg dorthin unterhaltsam.«
»Ich stimme vollkommen mit Ihnen überein«, sagte Baxter, »aber unsere Kernleserschaft altert, und die Jugend der Welt wächst auf, ohne Bücher zu lesen.«
»Was schlagen Sie also vor?«, fragte
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