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Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Titel: Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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vom anderen Ende des Wagens her. Sie klang ein bisschen hysterisch, und ich war ziemlich sicher, dass sie einer übergewichtigen Dame der besseren Gesellschaft gehörte, die nur eine Verkettung unglücklicher Umstände in diesen Wagen verschlagen hatte und die sich nun in ihren Vorurteilen den normalen Benutzern eines solchen Transportmittels gegenüber bestätigt sah. »Ein unmöglicher Mensch!«
    »Ist das wahr?«, wandte sich der Schaffner an die Verschleierte. Ich frage mich, ob er ganz bewusst offenließ, worauf genau sich diese Frage bezog, aber mir fiel auch auf, wie fest der Mann seine Billettzange nun in der Hand hielt. Eine formidable Waffe, wenn es sein musste.
    Die Frau hinter mir nickte nur, und ich sagte noch einmal und mit nun festerer Stimme: »Wie gesagt: Es war eine Verwechslung.«
    Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sich Allison ebenfalls zu mir durchzukämpfen versuchte, mit ihren viel schmaleren Schultern und ihrer zarten Gestalt aber erhebliche Mühe dabei hatte. Dann sog der Schaffner auf eine ganz bestimmte Art und Weise die Luft durch die Nase ein, die mich dazu bewog, ihm wieder meine ganze Aufmerksamkeit zu schenken.
    Aus irgendeinem Grund war der Fahrkartenkontrolleur der Meinung, wieder Oberwasser bekommen zu haben, und sei es nur, dass er sich im Recht fühlte, was er ja streng genommen auch war. Missverständnis oder nicht, so behandelte man keine Frau.
    »Sie werden sich bei der Dame entschuldigen, Sir«, verlangte er, unterstützt von zustimmendem Gemurmel, das augenblicklich ringsum aufkam.
    »Das habe ich bereits«, log ich, während ich sowohl das Gesicht des Schaffners als auch aus den Augenwinkeln die halb verhüllten Züge der Frau im Blick zu behalten versuchte. Je länger ich es tat, desto seltsamer kamen sie mir vor. Sie wirkten tatsächlich grobschlächtig, beinahe unfertig, als hätte jemand in aller Hast versucht, ein menschliches Gesicht zu modellieren, aber weder die nötige Zeit noch das angezeigte Geschick gehabt, um das Ergebnis wirklich glaubhaft zu gestalten.
    Ich spürte, wohin mich dieser Gedanke leiten wollte, und brach ihn fast erschrocken ab. An seiner Stelle konzentrierte ich mich wieder ganz auf den Schaffner, der sich nun seinerseits erneut an die verschleierte Frau wandte und »Ist das wahr, Madam?« in einem Ton fragte, der nichts anderes als eine Verneinung als Reaktion zuließ.
    Nicht nur zu seiner Überraschung bekam er jedoch ein Nicken zur Antwort.
    Selbst ich war erstaunt – auch wenn ich mir sogleich sagte, dass die Frau wahrscheinlich einfach nur keinen Ärger wollte und so den einfachsten Weg wählte, um diese unangenehme Situation zu beenden. Etliche Fahrgäste reagierten mit verwirrten Lauten oder auch solchen des Unmuts. Der Schaffner selbst wirkte für eine Sekunde vollkommen hilflos, bevor er sich selbst zur Ordnung rief und die Schultern straffte. Doch dann beging er den Fehler, mir direkt in die Augen zu sehen, und er musste wohl etwas darin erblickt haben, was seine Meinung noch einmal änderte, denn er beließ es bei einem unsicheren Räuspern und fuhr sich mit der Zungenspitze nervös über die Lippen.
    »Dann … zeigen Sie mir bitte Ihre Fahrkarte, Sir«, verlangte er.
    »Die habe ich.« Allison hatte sich endlich zu uns durchgedrängt und reichte dem Mann die beiden Billetts, die sie vorhin erstanden hatte. »Und bitte verzeihen Sie meinem Vater, Sir.«
    Vater?
    »Es war wirklich eine Verwechslung. Unsere Wäschefrau hat uns bestohlen, und diese Dame weist eine gewisse Ähnlichkeit mit ihr auf. Aber sie ist es natürlich nicht. Ich bitte Sie um Verzeihung.«
    Vater?!
    Die letzten Worte galten der Frau, die auch jetzt wieder nur mit einem stummen Nicken und ohne eine Miene zu verziehen, darauf reagierte. Ich war nicht ganz sicher, ob sie ihren Gesichtsausdruck überhaupt verändern konnte.
    Ich schüttelte auch diesen Gedanken erschrocken ab und konzentrierte mich ganz auf den Schaffner, der die beiden Fahrkarten in Allisons Hand einen Moment lang betrachtete, als hielte sie ihm etwas ziemlich Ekelhaftes hin, und sie dann mit spitzen Fingern entgegennahm. Nachdem er sie einer übertrieben genauen Musterung unterzogen und nichts gefunden hatte, was es zu bemängeln gab (was ihm augenscheinlich ganz und gar nicht gefiel), gab er sie Allison zurück und wandte sich dann wieder an mich.
    »Verzeihen Sie, Sir«, sagte er steif. »Aber ich konnte nicht …«
    »Schon gut«, unterbrach ich ihn. »Ich bin beruhigt, dass das Personal hier für

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