Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)
Ordnung sorgt.«
»Und ich möchte mich noch einmal in aller Form entschuldigen«, fügte Allison hinzu, lauter und an niemand Bestimmtes gewandt. Direkt zu mir fuhr sie fort: »Wir sollten hier aussteigen. Ann hat wohl doch die andere Bahn genommen. Komm.«
Ohne meine Antwort abzuwarten, ergriff sie mich am Arm und bugsierte mich zur Tür hinaus. Sie hatte es kaum getan, da ertönte ein schrilles Klingeln, und die Bahn setzte sich auf ihren eisernen Rädern in Bewegung.
Ich machte vorsichtshalber einen großen Schritt rückwärts, um nicht von den Flanken dieses Ungetüms erfasst zu werden, und erst dann fiel mir auf, dass Allisons Hand noch immer auf meinem Unterarm ruhte. An der Berührung war etwas sehr Vertrautes und sehr Angenehmes. Trotzdem – wenn auch mit einem Gefühl sachten Bedauerns – streifte ich ihre Hand nach einer weiteren Sekunde ab und bemühte mich um einen strafenden Blick. »Ihr Vater?«
Allison lachte. »Wäre Ihnen Ehemann lieber gewesen, Quinn? Oder Liebhaber?«
Das letzte Wort berührte mich peinlich, doch gerade als ich zu einer entsprechenden Bemerkung ansetzen wollte, gefror das spitzbübische Lächeln auf Carters Gesicht und machte etwas Platz, das mein Herz bereits wieder schneller schlagen ließ, noch bevor ich mich umdrehte und ihrem Blick folgte.
Die Straßenbahn hatte sich bereits ein gutes Stück entfernt und gewann rasch an Tempo, aber sie war noch nicht schnell und weit genug, um mich das Gesicht der Gestalt nicht erkennen zu lassen, die hinter dem Fenster stand und uns anstarrte.
Es war nicht mehr die vermeintliche Wäschefrau.
Es war ein Mann mit rundem Hut, kalten Augen und einem großen Leberfleck im Gesicht.
4
Es war nicht nötig gewesen, es laut auszusprechen: Wir waren wortlos übereingekommen, nicht über den unheimlichen Zwischenfall zu reden, und so verging sicherlich eine Viertelstunde, in der wir schweigend und jeder in seine eigenen Gedanken versunken nebeneinander durch die Abenddämmerung gingen. Ich hätte eine Menge dafür gegeben, die Allisons zu erraten, doch für mich war ich schon längst zu einer Erklärung gekommen, die wohl kaum einer ernsthaften Überprüfung standgehalten hätte, für den Moment aber immer noch besser war, als auch nur die Möglichkeit ins Auge zu fassen, dass wir all das wirklich erlebt haben könnten.
Was immer mir das verschmutzte Wasser des Kanals angetan hatte, es war noch nicht vorbei. Ich war auch an diesem Morgen mit leichtem Fieber aufgewacht und es bisher nicht ganz losgeworden. In meinem Mund war ein schlechter Geschmack, und nun, einmal darauf aufmerksam geworden, spürte ich auch wieder ein brennendes Pochen in der linken Hand. Nichts davon war wirklich schlimm. Ich hatte schon weit Übleres erlebt, ohne dass es mich sonderlich beeinträchtigt hätte und einen meiner spektakulärsten Fälle sogar mit einer Kugel in der Schulter und wirklich hohem Fieber gelöst … aber womit auch immer dieser verpestete Kanal mich vergiftet hatte, es beeinträchtigte offensichtlich meine Sinne, denen ich nicht mehr ganz trauen konnte. So einfach war das.
Wir waren bereits eine geraume Weile unterwegs, als mir etwas auffiel. Angesichts der schon vorgerückten Stunde und der Tatsache, dass die Gegend immer düsterer und die Häuser rechts und links der Straße immer heruntergekommener und ärmlicher wurden, hatten wir nicht den kürzesten Weg zum Hafen und damit der Werft eingeschlagen, sondern folgten den Straßenbahnschienen. Allerdings nur den Schienen. Der Wagen, aus dem Allison und ich – vielleicht etwas vorschnell, wie ich mittlerweile argwöhnte – ausgestiegen waren, war zugleich auch der letzte gewesen, den wir gesehen hatten. Allerdings musste ich zugeben, dass ich nicht die geringste Ahnung hatte, wie oft diese Bahn hier verkehrte. Weder benutzte ich sie regelmäßig, noch führte mich die Art von Aufträgen, die ich normalerweise übernahm, oft in diesen Teil der Stadt. Trotzdem fragte ich nach etlichen weiteren Minuten: »War es wirklich klug, so weit vor dem Ziel auszusteigen? Ich dachte, wir hätten es eilig.«
»So ist es auch«, antwortete sie. »Deswegen wollte ich ja unbedingt die letzte Bahn erwischen. In der Nacht gibt es keinen Schienenverkehr mehr.«
»Und wie kommen wir dann zurück?«
»Das wird sich schon zeigen.« Sie wischte meinen nächsten Einwand mit einer Handbewegung beiseite. »Wir hätten sowieso an der nächsten Station aussteigen müssen. Das letzte Teilstück zum Titanic ’s Dock
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