Irrfahrt
schaute er zu und sah sich selbst auf das Achterdeck der Korvette steigen. Die seit Stunden lastende Beklemmung wich von seinem Herzen. Gerettet! Nun war ja alles gut ...
In diesem Augenblick zerriß eine unbeschreibliche Detonation die Stille. Das kann doch nicht sein, fetzte es durch sein Gehirn.
Dann war nichts mehr.
13. Kapitel
Halbe Fahrt zurück!
Gerber fand den Brief auf seiner Koje. Schon beim Anblick der Schriftzüge, die nicht ihre gewohnte Festigkeit aufwiesen, vermutete er eine schlechte Nachricht.
Der Vater hatte nur wenige Zeilen geschrieben. Zwischen dem Bogen lag ein Zeitungsausschnitt. Die übliche Todesanzeige, bescheidener im Format als noch vor einigen Monaten. Papier war knapp, die Zeitungen erschienen mit verminderter Seitenzahl, in kleinerem Schriftgrad gedruckt. «In stolzer Trauer ... » Helmut Koppelmann, Spielgefährte und Klassenkamerad, war gefallen...
Gerber wurden die Augen feucht. Erst Heinz, und jetzt Helmut. Er war nun der letzte. In seinem Gehirn breitete sich Leere aus. Er fühlte sich außerstande, sofort an Helmuts Eltern zu schreiben. Keine drei Worte hätte er aufs Papier gebracht.
Leutnant Adam schaute herein. Er sah das traurige Gesicht des Fähnrichs und legte ihm kurz die Hand auf die Schulter. Dann ging er. Mit einer solchen Nachricht mußte jeder allein fertig werden.
Lange noch saß Gerber auf seiner Koje, ohne sich zu rühren. Er dachte an Mürwik, an den verpatzten Urlaub. Traf ihn etwa eine Schuld, daß ihre Freundschaf t einen Riß bekommen hatte? Seine Grübeleien führten immer wieder zu dem gleichen Punkt: Anstatt sich gekränkt zurückzuziehen, hätte er sich mit Helmut aussprechen sollen. Vielleicht wäre dann alles gut geworden. Zu spät!
In den kommenden Wochen und Monaten war Gerber sehr bedrückt. Den Verlust seines Freundes konnte er nicht verwinden. Auch die allgemeine Lage war wenig dazu angetan, Trost zu schöpfen. Hitlers Truppen standen nicht mehr an der Wolga, sondern sechshundert Kilometer westwärts. Ortsnamen tauchten im Wehrmachtbericht auf, die man seit 1941 nicht mehr gehört hatte.
Nordafrika war verloren. Die Reste von Rommels stolzem Afrikakorps hatten in Tunesien unter Generaloberst von Arnim kapituliert. Britische Geleitzüge liefen fast unbehindert durch das Mittelmeer. Im Juli landeten anglo-amerikanische Truppen an der Südspitze Siziliens und stießen bei ihrem Vorrücken stellenweise auf die heftige Gegenwehr deutscher Einheiten. Die starke Inselfestung Pantelleria, das italienische Gegenstück zu Malta, ergab sich kampflos.
Kriegsmüdigkeit in Italien. Offen brach die Krise aus. Mussolini wurde gestürzt. Marschall Badoglio setzte eine Militärregierung ein, die heimlich mit den Alliierten verhandelte und am 8. September im Rundfunk den Waffenstillstand verkündete. Regierung und König flohen aus Rom, die führerlose Armee begann sich aufzulösen. Gleichzeitig landeten die Amerikaner in Salerno, die Engländer in Tarent. Sie trafen in Unteritalien nur auf geringen Widerstand, weil die wenigen deutschen Truppen im Lande noch damit beschäftigt waren, die Italiener zu entwaffnen. Aus Verbündeten waren plötzlich Gegner geworden. Erst südlich von Rom gelang es den Deutschen, eine Verteidigungslinie gegen die Alliierten zu errichten...
Die Schlacht im Nordatlantik war praktisch verloren. Dönitz wagte es nicht mehr, seine U-Boot-Rudel einzusetzen. Die Gruppe «Fink» hatte mit neunundfünfzig Booten erfolglos operiert und schwere Verluste hinnehmen müssen. Seitdem Flugzeugträger die britischen Konvois unterstützten, war ihre Luftsicherung nahezu lückenlos.
Immer schwieriger wurde es auch, aus den Häfen an der Biskaya den freien Ozean zu gewinnen. Britische Aufklärer und Bomber erfaßten viele Boote schon beim Auslaufen. Nur im MittelatIantik konnte die U-Waffe noch operieren, aber der Anmarschweg war lang und kostete wertvolle Zeit.
Die Überwassereinheiten der Kriegsmarine lagen untätig in den Häfen Norwegens und brachten den UBooten keinerlei Entlastung. Die meisten Geleitzüge aus Großbritannien oder den USA erreichten ungefährdet ihre Bestimmungshäfen Murmansk und Archangelsk.
Nach einer längeren Pause wurden die Luftangriffe auf deutsche Städte wieder aufgenommen. Neuartige Methoden der Funkstörung hatten die Wirkung der deutschen Nachtjäger weitgehend ausgeschaltet, und so kamen die Bomberpulks fast unbehindert zum Abwurf. Unter ihren Bombenteteppichen sanken ganze Stadtviertel in Schutt
Weitere Kostenlose Bücher