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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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und Asche.
     
    Die Auswirkungen der Kriegslage spürten auch die Flottillen in Saint-Malo. Mit der beschaulichen Ruhe war es vorbei. Mehrmals am Tage heulten die Sirenen, britische Kriegsschiffe drangen in das Vorfeld der französischen Küste ein. Ständig mußten die Vorpostenboote unter Dampf gehalten werden, um jederzeit klar zum Auslaufen zu sein. Das war ebenso anstrengend wie langweilig.
    Gerber war froh, nicht mehr bei den Minensuchern dienen zu müssen. Häfners Flottille erlitt hohe Verluste durch neue Minentypen des Gegners. Jagdbomber griffen die Boote an, nachts gab es Gefechte mit Schnellbooten und artilleristisch weit überlegenen Zerstörern. Auch manches Vorpostenboot, das abends auslief, kehrte am nächsten Morgen nicht mehr zurück.
    Im Logis der Mannschaften, im Halbdeck der Unteroffiziere und in der Offiziersmesse dudelte pausenlos das Radio. Das gehörte einfach zum Krieg, war unvermeidlich. In den ersten Jahren blieb es hauptsächlich wegen der Sondermeldungen und Wehrmachtberichte eingeschaltet, jetzt wegen der Musik. Sondermeldungen waren selten geworden, das Interesse für den Wehrmachtbericht ließ nach. Wer konnte sich aus dem ganzen Hin und Her überhaupt noch ein Bild machen?
    Nur einmal am Tag, bei den Angaben über feindliche Bombenabwürfe, spitzten alle Männer die Ohren. Hamburg, Köln, Lübeck, Rostock, Berlin, Städte im Ruhrgebiet, Zentren der Industrie und Verkehrsknotenpunkte. Ängstlich horchte jeder, ob seine Heimatstadt genannt wurde.
    Musik, Musik - damit betäubten sich die Männer. «Heimat deine Sterne», sang WiIhelm Strienz mit schmalzigem Bariton und Lale Andersen stand «vor der Laterne, vor dem großen Tor». Einige liebten «Barcelona», andere begeisterten sich an der «roten Laterne von St. Pauli».
    Fast jeder hatte ein Lieblingslied, dem er, sobald es ertönte, andächtig lauschte.
     
    Gerber wurde zu Oberleutnant Rauh gerufen. Der Alte war schwer in Braß. «Wir sollen eine Schulung abhalten, Befehl vom Chef. Sie machen das, Gerber! Anderthalb Stunden sind im Dienstplan vorgesehen. Die Ostfront lassen Sie lieber weg, beschranken Sie sich auf Mittelmeer, Atlantik, Kanalküste und Norwegen. Jedenfalls muß klarwerden, daß die Invasion eine vernichtende Niederlage für die Anglo-Amerikaner ... na, Sie wissen schon!»
    Gerber schluckte. Wie sollte er nur die neunzig Minuten totschlagen? Aber Rauh war noch nicht fertig. Den dicksten Brocken hatte er sich für zuletzt aufgehoben. «Ein Offizier vom FlottilIenstab wird als Gast teilnehmen. Also reißen Sie die Knochen zusammen, immerhin stehen Sie kurz vor der Beförderung zum Oberfähnrich!»
    Auch das noch! Ein Aufpasser, sicher irgend so ein scharfer Hund. In seiner Not ging Gerber zu Leutnant Adam. Der tröstete ihn: «Alles halb so schlimm, mein Lieber. Natürlich machen wir bei einer derartigen Veranstaltung eine Zigarettenpause. Die Männer sind es nicht gewohnt, so lange zuzuhören. Offiziell zehn Minuten, es können auch fünfzehn werden. Wenn Sie fünf Minuten später anfangen und zehn Minuten früher aufhören, bleibt genau eine Stunde Redezeit.»
    Gerber fühlte sich schon wesentlich erleichtert. Als Adam ihm dann noch den Rat gab, sich eng an Zeitungstexte zu halten und das Risiko eigener Interpretation weitgehend auszuschalten, fiel ihm ein Stein vom Herzen.
    Dankbar schaute er seinen Vorgesetzten an. Adam war wirklich ein Freund, ein Mensch, auf den er sich verlassen konnte.
    Mit einem Stapel Zeitungen bewaffnet, setzte er sich in eine stille Ecke, studierte Wehrmachtberichte und Leitartikel. Die Lage in Italien war verwirrend, aber vielleicht nicht ganz hoffnungslos. Deutsche Fallschirmjäger hatten Mussolini in einem kühnen Handstreich befreit. Nord- und Mittelitalien befand sich fest in deutscher Hand, die Front war bei Monte Cassino zum Stehen gekommen.
    Frontausgabe des «Völkischen Beobachter». Gerber las:
    «Selbst ein Schweizer Blatt kam in einer Betrachtung über die Kriegslage in Italien zu dem Schluß: Wenn nur deutsche Divisionen Sizilien verteidigt hätten, so wäre den Engländern und Amerikanern die Eroberung wahrscheinlich nicht gelungen. Dabei geben die Kämpfe in Italien keineswegs den richtigen Maßstab für die Aufgabe, die den Engländern und Amerikanern bei einem Invasionsversuch erwächst. Denn in Italien mußte die deutsche Verteidigung improvisiert werden in einem Augenblick, da Badogliotruppen im Rücken der kämpfenden Front alle Verbindungslinien bedrohten, da durch

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