Irrfahrt
primitiven Schienen. Mitsamt der aufmontierten Kanone hätten sechs Mann schwer zu tragen gehabt, um das unförmige Gerät von der Stelle zu bewegen.
Der pfiffige Seidel erhielt den Auftrag, umgehend ein passendes Fahrzeug für die Lafetten zu besorgen. In stockdunkler Nacht zog er los. Nach einer halben Stunde kam er wieder.
Er schob zwei kleine buntbekleckste Karren, auf denen offensichtlich eine Malerfirma ihre Bretter und Leitern zu transportieren pflegte.
Schnell waren Munitionskisten, Konservenbüchsen und Gewehre verladen. Gegen drei Uhr stand schließlich der Haufen angetreten auf der Pier. Die beiden Kanonen, eine Kiste Handgranaten, drei Maschinenpistolen und zwanzig Gewehre - das war die ganze Herrlichkeit.
Rauh und Adam blieben mit einem Rest ihrer Besatzung an Bord. Gerber wurde die zweifelhafte Ehre zuteil, den Haufen zu führen und als «Kompaniechef» zu fungieren. Dazu brauchte er unbedingt eine Karte, und so ergab sich Gelegenheit, mit Leutnant Adam im Kartenhaus noch einige Minuten zusammenzubleiben.
Caen und Saint-Lo waren schnell gefunden. Nördlich Caen mündete die Orne, nördlich Saint-Lo die Vire in die weitgeschwungene Bucht der Seinemündung. Die beiden Flußmündungen lagen etwa fünfzig Kilometer auseinander, dazwischen befand sich ein klippenreicher Küstenabschnitt. Adam zeigte an beiden Stellen auf die Karte. «Hier werden sie landen, heute morgen. Im Calvados.»
Gerber entsann sich, diesen Namen vor einigen Wochen, bei jener aufschlußreichen Lagebesprechung, gehört zu haben. Mit einer gewissen Erleichterung stellte er fest, daß Saint-Malo mehr als hündertfünfzig Kilometer von den vermuteten Landungsstellen entfernt war.
Ohne Tritt marschierte der kleine Trupp durch Parame, einen eleganten Vorort von Saint-Malo. Hinter dem Ortsausgang dehnte sich ein kilometerlanger, flacher Strand. Er gehörte zu den wenigen Stellen in der Bretagne, die für eine Landung der Alliierten in Betracht gekommen wären.
Den Strand überragten einige Hügel, die sich steil über dem welligen Gelände erhoben. Ihre Kuppen hatte man bei der Errichtung des Atlantikwalls befestigt. Sie trugen jetzt klangvolle Namen: Scharnhorst, Gneisenau, Clausewitz.
Gerber irrte mit seiner. «Kompanie» ziellos am Strand umher.
Niemand konnte ihm sagen, wo sie nun eigentlich hingehörten. Mehrfach begegneten ihnen Trupps von anderen Schiffsbesatzungen aus Malo. Sogar ein froschgrüner, längst schrottreifer Dampfer, der seit Jahren völlig nutzlos im Hafen lag, hatte zur Verteidigung eine forsche Streitmacht entsandt. Voller Stolz führten die Männer ein richtiges Geschütz vom Kaliber 5,7 cm vor. Es hatte im ersten Weltkrieg zur Ausrüstung der k.u.k.-Gebirgstruppen gehört; kein Mensch wußte, durch welche Verkettung von Umständen dieses Museumsstück an die bretonische Küste geraten war.
Alle möglichen Truppeneinheiten befanden sich im Alarmzustand, zogen hierhin und dorthin. Am «gefährdeten» Küstenabschnitt herrschte ein unbeschreibliches Durcheinander. Wenn das hier schon so ist, dachte Gerber, wie mag es dann erst an den Landungsstellen aussehen?
Inzwischen war es hell geworden. Vom vielen Laufen taten den Männern die Füße weh, und so führte Gerber seine Besatzung kurz entschlossen in ein Chateau, das in geringer Entfernung von der Küste auf einem flachen Hügel stand. Die Türen wurden mit sanfter Gewalt geöffnet. Das Schloß war menschenleer, aber noch einigermaßen möbliert.
Während Gerber die beiden Kanonen auf den Türmchen des Gebäudes aufstellen ließ, richtete sich der Smutje in der Schloßküche häuslich ein. In der Nähe war ein Kartoffelfeld, dessen Stauden schon die ersten Knollen trugen. Büchsenfleisch hatte der Smutje mitgenommen, es fand sich auch ein passender Kessel und genügend Holz. Hier war es jedenfalls auszuhalten.
Ab und zu kreisten Tiefflieger über dem Küstenabschnitt. Dann bellten die Kanonen auf dem Dach, um die Angreifer zu vertreiben.
Mehrere Kommandeure bemühten sich, über Gerbers Einheit zu verfügen. Am Ortsausgang von Parame residierte ein «Befehlshaber Küste» im Range eines Oberstleutnants. Auf seinen Befehl hin machte Gerber eine Munitionsaufstellung. Der Kommandant der Festung Scharnhorst, ein Major, forderte von ihm eine Stärkemeldung an. Ein Hauptmann, dessen Funktion unerfindlich blieb, wünschte zu erfahren, ob «seine Einheit Gerber» Bedarf an Panzerfäusten habe.
Auf Gerbers Rückfrage wegen Zuteilung von Verpflegung hieß es
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