Irrfahrt
überall nur lakonisch: Helft euch selbst! Damit hatten die Männer zum Glück schon angefangen. Sie speisten in einem prunkvollen Saal, ihr Tisch war mit Sevres-Porzellan und silbernen Bestecken gedeckt.
Oberfähnrich Gerber wandelte wie ein Fürst durch alle Gemächer und sprach leutselig mit seinen Untergebenen. Der Krieg war plötzlich ganz unwirklich geworden, in weite Ferne gerückt. Das gelegentliche Rattern der Maschinenwaffen wurde als eine unverschämte Störung empfunden.
«Parole?»
«Ungarn!»
Mehr als zwei dutzendmal war der Melder danach gefragt worden, ehe er sich mit seinem Fahrrad mühsam zu Gerber durchschlagen konnte. Gerber schickte den armen Kerl erst einmal in die «Kombüse» und sah unterdessen den Stapel Meldungen durch, den ihm Leutnant Adam «mit der Bitte um Kenntnisnahme und baldige Rückgabe» - immer korrekt - zugeschickt hatte.
Den Meldungen zufolge waren im Invasionsraum mehrere Luftlandedivisionen niedergegangen und hatten sich trotz schwerer Verluste halten können, meist an wichtigen Brücken und Kreuzungen. In den Morgenstunden erschien dann eine gewaltige Armada. Während die Truppen in Landungsfahrzeuge umstiegen, hatten Schlachtschiffe, Kreuzer und Zerstörer die Küstenabschnitte der Normandie mit ihrer Artillerie umgepflügt.
Die ersten Amerikaner erstürmten die Küste um sechs Uhr dreißig; im britischen Abschnitt erfolgte die Landung eine Stunde später. Pioniere hatten die Landungsabwehrsperren beseitigt, Panzern und Infanterie den Weg bereitet. Mehrere Geschwader Bombenflugzeuge und Schwärme von Jagdbombern verhinderten die Heranführung deutscher Verstärkungen und Reserven aus den Bereitstellungen im Hinterland der Küste.
Alle fünf Brückenköpfe wurden von den Invasoren gehalten, vor allem wegen ihrer Luftüberlegenheit.
Nachdenklich steckte Gerber die Papiere wieder in den Umschlag. Es war klar, daß sich die Experten im OKW gründlich verrechnet hatten. Wenn es nicht gelang, die Alliierten aus den Brückenköpfen zu vertreiben, sah die Lage sehr schlecht aus.
Unterdessen hatte sich der Melder beim Smutje gestärkt und erstattete Bericht. «Herr Oberleutnant Rauh schickt mich. Wir brauchen dringend Maschinisten, das Loch in der Bordwand muß zugeschweißt werden, und irgendwie müssen wir die Bombenschäden beseitigen, so gut es eben geht.»
«Das ist doch Sache der Werftarbeiter», erwiderte Gerber.
«Die Werftarbeiter waren allesamt unauffindbar, den ganzen Tag lang. Helft euch selbst, hat der Hafenkapitän gesagt ... »
Diese Aufforderung zur Selbsthilfe schien neuerdings üblich zu sein. Gerber setzte acht Mann in Marsch. Meinetwegen, dachte er resignierend. Je weniger Menschen ich betreuen muß, desto weniger Sorgen brauche ich mir zu machen.
Abends wurde Rotwein verteilt, den Seidel in den Kellern des alten Schlosses aufgetrieben hatte. Die Männer saßen vor einem riesigen Kamin und rauchten Zigarren, die ebenfalls aus fremdem Besitz stammten. Seidels Talent fand hier ein ganz neues Betätigungsfeld. Mit ihm konnten die Männer im nächsten halben Jahr nicht verhungern, das war sicher.
Andere Bootsbesatzungen hatten weniger Glück. Sie lagen in feuchten Schützengräben entlang der Küste, eine Feldscheune diente ihnen als Nachtquartier. Vor allem fehlte dort eine Gelegenheit zum Kochen.
Bereitwillig stellte Gerber die große Küche «seines» Schlosses zur Verfügung. Von allen Seiten kamen Küchenbullen und Hilfskräfte, vollgefressene Fouriere und hungrige Landser angeströmt. Bald wimmelte es wie in einem Ameisenhaufen.
Auch Häfners Minensucher, auf deren Boot Gerber einmal gefahren war, mischten sich unter die bunte Schar. Bei einem Rundgang in der Küche stand er unerwartet vor dem Obergefreiten Knoop, der eifrig mit großen Töpfen und Pfannen hantierte. Kurz darauf erschienen Althoff und Schabe, um die Verpflegung für ihre Einheit abzuholen. Der sonst so lustige Althoff wirkte etwas gehemmt. War es die Invasion, war es Gerbers Dienstgrad?
Es gab viel zu erzählen. Boot 00 war gesunken. Minentreffer. Eine neue Konstruktion der Briten, deren Wirkungsweise man noch nicht kannte. Zum Glück wurden die Männer von anderen Booten der Gruppe gerettet. Jetzt hausten sie an Land in einem Hotel und bemühten sich, ein Bordkommando zu finden.
Oberleutnant Häfner war zu einer Ausbildungseinheit in Husum abgestellt, Meyer arbeitete als Gehilfe beim Hafenkapitän, Vogel in der GeleitsteIle. Und Ritter? Der stand gerade Wache im
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