Irrfahrt
den U-Boot-Krieg wieder auf die Beine zu bringen. Die Vorbereitungen hierzu sind im Gange. In den kommenden Monaten wird eine neue Waffe geschaffen, die den Abwehrmaßnahmen des Feindes vollkommen ausweichen kann. Ihrem Aufbau werden alle übrigen Wünsche, etwa nach besseren Minensuchbooten und einer Verstärkung des Küstenschutzes, untergeordnet.
Wir wissen, daß der Krieg hart ist und daß wir auch bei erheblicher technischer Unterlegenheit mit Ausdauer und Entschlossenheit kämpfen müssen. Deshalb sollen alle Offiziere und überhaupt alle Vorgesetzten auf die Besatzungen einwirken und ihnen das Bewußtsein für die Schwierigkeiten des Kampfes einflößen.
Zur Zeit gibt es viele technische Mängel auf unseren Fahrzeugen. Sie werden auf dem schnellsten Wege überwunden. Dabei müssen alle mit anpacken. Mehr Werftkapazität steht uns nicht zur Verfügung, aber irgendwie muß es geschaf t werden. Ich bin fest überzeugt, daß wir die Invasion an den Küsten Frankreichs erfolgreich abwehren und dem Feind im Laufe dieses Jahres mit unseren neuen U-Booten entscheidende Schläge versetzen werden. Ich bin fest überzeugt, daß der Endsieg dem Großdeutschen Reich zufallen wird.»
Am Schluß wurde das übliche Siegheil ausgebracht. Obwohl mehrere hundert Männer im Saal waren, klang es matt und kraftlos.
Die Worte des Admirals hatten auf Gerber nicht überzeugend gewirkt. Er erinnerte sich an die Mürwik-Rede. Damals hatte der alte Löwe eine baldige Wende des UBootKrieges angekündigt. Sie war ausgeblieben. Und heute? Durchhalten und nochmals durchhalten! Neue Waffen, von denen man sich Wunder erhoffte.
Eigentlich dasselbe wie vor einem Jahr, dachte Gerber. Nur einen Schein dunkler. Leutnant Adam saß im Kartenhaus über Gezeitentabellen, Seekarten und Mondphasen. Er war intensiv mit irgendweIchen Berechnungen beschäftigt. Neugierig trat Gerber näher.
«Ich mache mir Gedanken, wann und wo die Invasion beginnen könnte», sagte Adam.
Gerber sah ihn fragend an.
«Das ist gar nicht so schwer auszurechnen. Natürlich wird man in London einen Tag aussuchen, der besonders günstige meteorologische Konstellationen bietet. Es muß eine. fast mondlose Nacht sein, damit wir den Anmarsch der Schiffe nicht beobachten können. Die Landungsfahrzeuge brauchen eine niedrige Flut, um auf die flache Küste aufzusetzen, denn im ersten Morgengrauen müßte das Ausladen erfolgen. Schauen Sie einmal her, Gerber! Der siebte oder achte Mai wäre geeignet gewesen. Aus unserem Logbuch ergibt sich, daß wir an diesen Tagen die stärksten Fliegerangriffe hatten. Vielleicht war etwas geplant, ist aber dann abgesetzt worden. Seegang vier! Das war möglicherweise schon zuviel.»
«Und wann wäre der nächste Termin?» fragte Gerber mit stockendem Atem.
«Etwa vom vierten bis sechsten Juni», erwiderte Adam.
«Ich schätze, in einer dieser Nächte werden sie kommen.»
Gerber war überrascht, wie exakt und sachlich Leutnant Adam seine Meinung begründete. Er selber hatte von einer Invasion nur ganz allgemeine, hauptsächlich technische Vorstellungen. Adams nüchterne Betrachtungsweise, die auf soliden Kenntnissen beruhte, faszinierte ihn.
«Wo könnten die Alliierten eigentlich landen?»
Adam wiegte den Kopf. «Das kann vermutlich auf dem Kontinent noch niemand wissen. Man kann lediglich sagen, wo die Truppen bestimmt nicht landen werden. Unser Abschnitt kommt nicht in Betracht. Überall Klippen, enge betonnte Fahrwasser, viel Steilküste. Diese Provinz ist leicht zu sperren und zu kontrollieren. Mit geschickt aufgestellten Kanonen lassen sich zwanzig Kilometer Küstenstreifen gegen jeden Angrif f halten.»
Gerber beugte sich über die Seekarte. «Aber hier, bei Kap Griz Nez ... » .
«Liegt zwar an der schmalsten Stelle des Kanals, ist aber zu gut befestigt. Dort stehen alle schweren Batterien; sie wurden seit Jahren immer wieder in der Wochenschau als Paradepferd gezeigt ... Die holländische Küste ist aus anderen Gründen für eine Landung ungeeignet. Auf der Karte ist eingezeichnet, welche Landstriche unter dem Meeresspiegel liegen. Wenn die Deiche gesprengt werden, steht alles meterhoch unter Wasser; das wird Großbritannien auf keinen Fall riskieren.»
Deutsche Küste? Dänemark? Westküste Frankreichs? Die Reichweite der Jabos war begrenzt. Briten und Amerikaner landeten bestimmt nicht außerhalb des Aktionsradius ihrer Maschinen.
«Was bleibt also, Oberfähnrich Gerber?»
Gerhard kam sich vor wie in einer Prüfung. Der
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