Irrfahrt
vielleicht für alle Zukunft untauglich.
Die Besatzung der Festung Scharnhorst war nicht gerade eine Eliteeinheit. Ihre Bewaffnung bestand größtenteils aus Beutegut, das man in einem halben Dutzend Ländern zusammengerafft hatte. Fast die Hälfte der Soldaten stammte aus dem westlichen Polen. Nach dem Blitzkrieg im Jahre 1939 ließen sie sich als Volksdeutsche in die Listen eintragen, um besser leben zu können. Mancher wurde auch zur Unterschrift gezwungen. Die Hoffnung auf ein besseres Leben erwies sich als trügerisch. Die Männer wurden gemustert und eingezogen. Nun saßen sie hier in dieser windigen Ecke, schoben Kohldampf und sollten ein Vaterland verteidigen, mit dem sie nichts gemein hatten.
Der Verpflegungssatz der Einheit war unglaublich niedrig. Dankbar nahmen die Festungskrieger jede Zigarette an, die ihnen ein Matrose schenkte. Sie erhielten kaum ein Drittel dessen, was der Marine zustand.
In der Küche befand sich nur ein Kessel. Morgens wurde ein Stück Fleisch angebraten, das etwa acht Koteletts ergeben hätte. Bei dieser Einheit sollten aber mehr als hundert Menschen davon satt werden. Das Fleisch wurde scharf gebraten und in winzige Stücke geschnitten. Dann wurde der Kessel mit gequollenen Erbsen gefüllt. Kurz vor der Essenausgabe rührte der Küchenbulle die Fleischstückchen hinein. Die Männer aßen genau siebenmal in der Woche Eintopf, denn mit einem einzigen Kessel kann auch der geschickteste Koch kein anderes Gericht herstellen.
Die Stimmung in der Festung bewegte sich auf derselben Höhe wie die Verpflegung. Der Major konnte auch nichts herbeizaubern und begnügte sich mit wortreichen Ansprachen. «Das muß eben ausgehalten werden», «vorübergehende Versorgungsschwierigkeiten» und natürlich der «unerschütterliche Glaube an den Endsieg» kamen darin vor. Weniger wortreich waren seine Erklärungen zur Lage an der Invasionsfront.
In den Gefechtspausen wurde Gerber von seinen Matrosen bestürmt. «Stimmt es, daß die Anglo-Amerikaner mehrere tausend Flugzeuge eingesetzt haben? Stimmt es, daß unsere Küstenbefestigungen einfach überrannt wurden und von unserer Luftwaffe nichts zu sehen war?»
Treuherzig berichtete ein Obergefreiter, was in der Kombüse des alten Schlosses so erzählt wurde. «Ein Maschinengefreiter von den Minensuchern hat gesagt, am besten wäre es, wenn alle Mann abhauen ... » .
Gerber verhinderte mit einer energischen Handbewegung, daß der Obergefreite weitersprach. Ein ganz bestimmter Verdacht stieg in ihm auf.
Abends erschien der Küstenbefehlshaber Parame, um die Festung zu besichtigen. Gerber ließ seine Männer antreten. Gerade noch rechtzeitig war es gelungen, die geborstene Lafette aus dem Blickfeld zu entfernen.
Anschließend fand eine Besprechung der Einheitsführer statt. Gerber vermutete, daß nun alles zur Sprache kam, was im Falle einer Landung in diesem Küstenabschnitt zu tun wäre. Aber der Oberstleutnant hatte andere Sorgen.
«Im Laufe des heutigen Tages sind drei Mann desertiert, und zwar von den Alarmeinheiten der Marine und der Luftwaffe.»
Vorwurfsvoll musterte er jeden, der eine dunkelblaue oder blaugraue Uniform trug. «Gewisse organisatorische Schwierigkeiten, die durch die überraschende Landung des Feindes hervorgerufen wurden, sind von Verrätern des Vaterlandes dazu benutzt worden, defätistische Reden zu führen. Das ist eine unglaubliche Schweinerei, meine Herren! Es besteht der Verdacht, daß bolschewistische Elemente zersetzend unter den Truppeneinheiten gewirkt haben.»
Über den Verbleib der drei Männer schien nichts bekannt zu sein. Die betroffenen Einheitsführer hielten es für möglich, daß sich der eine oder andere verirrt hatte oder in die Hände von Partisanen gefallen war. Der Oberstleutnant bestritt diese Version ganz entschieden. Er befahl den Einheitsführern, ihre Leute scharf im Auge zu behalten, Gespräche mit unbekannten Männern anderer Einheiten zu unterbinden und verdächtige Wahrnehmungen sofort der Geheimen Feldpolizei zu melden, deren Telefonnummer sich alle notieren mußten.
Die große Küche im Chateau wurde auf Befehl des Oberstleutnants geschlossen. Dort vermutete man das Zentrum der Aufrührer.
Eine weitere Nacht in der Flohbude erlebten die Männer des Vorpostenbootes nicht mehr. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit kam ein Melder, der sie nach Saint-Malo zurück holte.
Rauh hatte seinen alten Gammeldampfer wieder zurechtgeflickt und seeklar gemeldet.
Erleichtert setzte Gerber seine
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