Irrfahrt
ab. «Ja, allein! Eben das hätte der Häfner unterbinden müssen. Solche verdächtigen Elemente gehören unter ständige Aufsicht.» In einer langen Tirade zog er über Häfner her, der alles verkehrt gemacht hatte. «Diesen Hansen wollte ich ans Messer liefern. Tatbericht! Hätte für zehn Jahre Marinegefängnis gereicht. Aber die Herren von der Marinesicherungsdivision wußten ja alles besser. Beweise haben sie verlangt! Als ob es auf Beweise ankommt. Gesinnung ist im nationalsozialistischen Führerstaat entscheidend. Wenn einer Kommunist war, genügt das bei mir. Peng!» Er machte eine Bewegung, als wollte er jemand abknallen.
Der Leutnant fand kein Ende, das Thema faszinierte ihn. Was nun folgte, verschlug Gerber die Sprache. Hansen war desertiert! Er hatte das Durcheinander in Parame benutzt, um mit zwei anderen Männern unterzutauchen. Offenbar hielten Franzosen der Resistance, zu denen Hansen schon früher Verbindung besaß, die Deserteure versteckt. Der Fall wurde mit allen NSFOs in Saint-Malo durchgekaut. Maßnahmen wurden besprochen, mit denen man eine Wiederholung «ähnlicher und für das Ansehen der großdeutschen Kriegsmarine ehrenrühriger Vorfälle» zu verhindern gedachte. Diese Anregungen waren bei Leutnant von Heyde auf fruchtbaren Boden gefallen.
Nachdenklich räumte Gerber seinen Spind ein. Wieder so ein Pärchen von Kommandant und I WO. Nur war diesmal der Kommandant entschieden die angenehmere Type. Gerber vermutete, daß eine tiefere Absicht hinter dieser Gespannbildung stand. Seine Vermutung war nicht ganz unberechtigt.
Der Alte war manchem seiner Vorgesetzten zu ruhig, man wollte ihn durch einen drahtigen und energischen I WO in Schwung bringen. Das war jedoch ein gewaltiger Irrtum. Oberleutnant Zechmeister besaß keinerlei militärischen Ehrgeiz. An seiner überlegenen Ruhe prallten alle Quertreibereien wirkungslos ab. Sogar Herr von Heyde mußte das in lichten Momenten zugeben.
Im Hafen ließ Zechmeister fast alles vom I WO, vom Schmadding oder vom leitenden Maschinisten erledigen. Nach jahrelanger Übung lief der Hafendienst praktisch von allein. Nur in einem Punkt übernahm er die Schulung seiner jungen Fähnriche in eigene Regie: beim Trinken. In der Messe waren entlang den Wänden schmale Klappsitze angebracht. Wer zu schwanken begann, verlor bald sein Gleichgewicht und saß plötzlich auf dem Fußboden. Deswegen aus der Linie zu scheren kam natürlich nicht in Frage. Die bezechten Spunde mußten auf dem Fußboden sitzen bleiben und in strammer Haltung weitersaufen, bis Zechmeister den Befehl zum «Ausscheiden» erteilte. Der Kommandant nannte dieses Verfahren seine «Erziehung zum Soldaten». Selbst Gerber, der mittlerweile einiges vertragen konnte, ging bei der ersten Sitzung über Stag, wenn auch später als die Fähnriche und etwa gleichzeitig mit Heyde.
Zechmeister war nicht immer so verschlossen gewesen. Bei einem Luftangrif f auf die Heimatstadt hatte er seine Frau verloren. Sein einziger Sohn war vor Leningrad vermißt. Nun stand er allein auf der Welt und suchte im Alkohol Trost und Vergessen.
Am nächsten Morgen begann Gerber, sich theoretisch und praktisch mit seinem neuen Fahrzeug zu beschäftigen. Die wichtigsten Daten hatte er bald im Kopf: 550 Tonnen Wasserverdrängung, 62 Meter Länge, 9 Meter Breite, 2,8 Meter Tiefgang. Maschinenleistung 2400 Pferdestärken. Bewaffnung: eine 10,5 cm, eine 3,7 cm, ein Vierling 2 cm und zwei Brückenkanonen 1,5 cm. Erbaut war das Minensuchboot im Jahre 1941 auf einer Werf t in Holland.
Das ging ja alles noch, aber vielleicht würde der Kommandant ausgefallene Fragen stellen. Es gab Offiziere, die dafür berüchtigt waren. Also lernte Gerber fleißig weiter: wie viele Querschotten das Boot besaß, wie viele Meter über der Konstruktionswasserlinie sich die Kommandobrücke befand, in welcher Stückzahl Munition an Bord gelagert werden konnte und wo die Anschlüsse für die Feuerlöscher angebracht waren.
Dann kletterte er weisungsgemäß in jede Abteilung des Bootes und nahm sie genau in Augenschein. Hierzu hatte er sich eine Garnitur Takelzeug aushändigen lassen. Er sah, prüfte und verglich. Dabei konnte der neue II WO ganz interessante Feststellungen treffen. Die sechs Funker sollten laut Dienstplan den gesamten Vormittag damit beschäftigt sein, ihr Schapp aufzuklaren. Nach einer halben Stunde hatten sie diese Arbeit bewältigt und spielten die übrige Zeit Siebzehnundvier. Die Vorräte an Verpflegung, vor allem an
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