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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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war auch dieser Spuk vorbei. Die DönitzClique und alle, die sich in Flensburg eingenistet hatten, wurden verhaftet. Insgesamt dreihundert Generäle und Offiziere. Hinter Gittern saßen auch die meisten Nazigrößen, nachdem man sie in ihren Schlupfwinkeln aufgestöbert oder auf der Flucht ergriffen hatte. Plötzlich ihrer Macht entkleidet, trat ihre Erbärmlichkeit offen zutage. «Und für solche Feiglinge sind wir in den Krieg gezogen», sagte ein Obergefreiter ziemlich laut.
    Die Theorie von den Besatzungszonen bestätigte sich. Ein alliierter Kontrollrat übte die oberste vollziehende Gewalt aus. Finis Germaniae - Deutschlands Ende, dachte Gerber bitter.
    Alle militärischen Einrichtungen wurden offiziell aufgelöst. Die Wehrmacht existierte nicht mehr. Der Hoheitsadler - von den Landsern Pleitegeier genannt - mußte von den Uniformen abgetrennt werden. Dienstgrade, Unterstellungsverhältnisse, Befehlsgewalt waren auf Weisung der Siegermächte abgeschafft.
    Die «Eisernen» gingen mit finsteren Gesichtern umher.
    «Guten Morgen, Herr Kämpfe», sagte Gerber zu dem ehemaligen Major. Der verbat sich die zivile Anrede und schrieb eine Meldung an Colonel Blimp. Zu Gerbers Verblüffung stand der englische Oberst auf seiten des gefangenen Offiziers.
    Gerber wanderte für einundzwanzig Tage in den Bau. Zur Begrüßung schnitt man ihm die Haare ab, nicht ganz so sanf t wie Obermeister Stosch. Im Lazarett gab es viel schmutzige Arbeit. Der Colonel sorgte dafür, daß immer genügend Arbeitskräfte «im Kahn» saßen. Sie mußten Leichen transportieren, Mülltonnen leeren, Kohlen schippen - zwölf Stunden am Tag -, sogar altes Zinngeschirr, das in Deutschland wegen seiner Gesundheitsgefährdung verboten war, mit primitiven Hilfsmitteln blank scheuern. «Soll glänzen wie silver», sagte der zuständige Sergeant.
    Gerber hatte einen heiligen Zorn auf Kämpfe und schwor ihm Rache. Aber dazu kam er nicht mehr. Als die einundzwanzig Tage vorbei waren, befand sich der Major schon auf dem Transport in ein Lager. Die Gefangenenstation in Wakefield wurde aufgelöst. Künftig sollten in Großbritannien nur noch zwei Lazarette für Kriegsgefangene bestehen.
    Unter den Patienten herrschten Unruhe und Verwirrung. Bisher hatten sie ihr Gefangenendasein als einen Zustand betrachtet, der nach dem Kriege ordnungsgemäß durch Verhandlungen und Abmachungen zwischen den Regierungen geregelt werden würde. Nun war alles ungewiß. Das geschlagene Deutschland hatte keine Regierung, keine militärische Instanz. Auch die Gleichgültigsten begriffen, daß sie rechtlos waren.
     
    Die Lazarettinsassen aus Wakefield, Offiziere wie Mannschaften, wurden entsprechend ihrer politischen «Blutgruppe» sortiert und schubweise nach verschiedenen Lagern in Marsch gesetzt. Dr. Peter erhielt eine leitende Stellung im schwarzen Lager, wo er mit seiner Gesinnung auch hingehörte.
    Männer, die lange bettlägerig gewesen waren, besaßen ihre Uniformen nicht mehr. Auch Gerber hatte nur seinen Schlafanzug und einen gestreiften Morgenmantel. In diesem Aufzug konnte er natürlich nicht ins Camp fahren. Also wurde er eingekleidet. Ausrangierte britische Uniformen standen zur Verfügung, schokoladenbraun eingefärbt. Auf dem Rücken war ein kreisrundes Stück herausgeschnitten und durch einen grellbunten Flicken ersetzt. Ähnlich waren auch die Hosenbeine verziert. Die buntscheckigen Anzüge sahen wie Fastnachtkostüme aus.
    Die Fahrt ging nach Südwesten, im Sonderwaggon eines Schnellzuges. Gerber hatte Muße, sich eingehend im Spiegel zu betrachten. Der Posten auf dem Gang versetzte ihm einen kräftigen Stoß in den Rücken, genau auf die buntmarkierte Stelle. «Wenn du ausrücken willst, Freundchen, wissen wir gleich, wohin wir zu zielen haben!»
    Auf allen Stationen, sogar in den Eisenbahnwagen, hingen große bunte Plakate. Wahlkampf. Kaum war der Krieg in Europa zu Ende, kündigte die Labour Party auch schon das Bündnis mit den Konservativen. Nun mußte ein neues Parlament gewählt werden, für Großbritannien ein Ereignis ersten Ranges.
    Help him finish the job vote National, forderten die Konservativen. Auf ihren Plakaten prangte das schwammige Gesicht Churchills. Die Posten unterhielten sich laut und ungeniert, stellten Mutmaßungen an über den Ausgang der Wahl. Sieg der Labour, prophezeite ein Corporal. Die anderen stimmten ihm zu. Unmöglich, dachte Gerber. Ein Premierminister, der sein Land sechs Jahre durch einen schweren und siegreich beendeten Krieg

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