Irrfahrt
seine Befürchtung, daß alles im Sande verlaufen würde.
Jordy schwieg eine Weile, dann sagte er: «Wait and see.»
Eine Woche später drückte er ihm den Daily Worker in die Hand. Gerber las: Ein Mr. Gallacher, Abgeordneter des Wahlkreises NewcastIe-Süd, hatte im Unterhaus an den «ehrenwerten und tapferen» Kriegsminister die Anfrage gerichtet, wieso man der Öffentlichkeit die Ermordung eines antifaschistischen Kriegsgefangenen durch eingefleischte Nazis vorenthalte.
Daraufhin machte ein weiterer Abgeordneter die Bemerkung, daß ihm ein ganz ähnlicher Fall aus einem Lager bei Sheffield bekannt geworden wäre. Der Minister erklärte lahm, die beiden Fälle würden noch untersucht. Damit handelte er sich einige Buh-Rufe ein, äußerstes Mißfallen des hohen Hauses. Auf die Zusatzfrage, was er zu unternehmen gedenke, um solche Vorkommnisse in Zukunf t zu verhindern, versprach der Minister, demnächst einen umfassenden Plan vorzulegen.
«Demnächst», sagte Gerber zweifelnd und faltete das Blatt zusammen. «Es sind ja auch nur Kriegsgefangene.»
Jordy erwiderte: «Wenn der Minister so etwas verspricht und dann nichts unternimmt, sind die Tage seiner Amtszeit gezählt. Jetzt muß er handeln! Andernfalls wird mein Abgeordneter auf die Sache zurückkommen.»
Jordy behielt in gewisser Weise recht. Drei deutschsprechende Herren erschienen im Lazarett, beschlagnahmten drei Extraräume und befragten nach einer Liste jeden Gefangenen einzeln: «Was denken Sie über Hitler? Wer ist schuld am Ausbruch des zweiten Weltkrieges? Waren Sie Mitglied der NSDAP? Welchen Dienstgrad bekleideten Sie in der Hitlerjugend? Welche Vorstellung haben Sie von der künftigen Entwicklung Deutschlands?»
Gerber sah sich einern kleinen Mann mit dunkler Hornbrille gegenüber, der Uhlenhauer oder Ollenhauer hieß. Er beantwortete die gestellten Fragen höflich und mit Zurückhaltung. Der Herr machte ein Zeichen in seine Liste. Bereits nach vier Minuten war Gerber entlassen. Bei anderen Kandidaten ging es sogar noch schneller. Wer beim Eintreten den rechten Arm hob und einen strammen Gruß trompetete, durfte gleich wieder gehen. Manch «alter Kämpfer» war stolz auf sein Betragen und glaubte, es diesem ulkigen Onkel ordentlich gegeben zu haben. In Wirklichkeit machte er ihm die Arbeit nur besonders leicht.
Eigentlich sollte die Aktion eher beginnen. Die drei Herren waren schon einmal nach Wakefield gekommen und mußten unverrichteterdinge wieder abziehen. Angeblich war kein Quartier zu beschaffen, dann fehlte es an geeigneten Räumen für die Befragungen. Erst als ein scharfes Telegramm des Kriegsministers eintraf, konnten sie ihre Arbeit aufnehmen.
Der Grund für die Verzögerung lag bei Colonel Blimp. Wie die meisten britischen Offiziere war er streng konservativ. Die Zivilisten aber, deutsche Emigranten, unterstanden dem Political Investigation Department. Außerdem gehörten sie einer Partei an, die etwa der britischen Labour Party entsprach. Solche Leute waren dem Oberst unsympathisch. Ihre Tätigkeit bezeichnete er schlechtweg als «bullshit».
Mit der Befragung wurde die Absicht verfolgt, die Gefangenen in schwarze, graue und weiße Schafe zu sortieren, um sie dann voneinander zu trennen. Die Fememörder jedoch liefen nach wie vor frei umher.
19. Kapitel
Finis Germaniae?
Das «tausendjährige» Reich lag in Trümmern. Sowjetische Truppen waren bis zum Zentrum Berlins vorgedrungen, die Festung Alpenland erwies sich als bombastisches Windei, und weder die Armee des Generals Wenck noch irgendwelche Wunderwaffen konnten am Ausgang des Krieges etwas ändern.
Hitler und Goebbels hatten Selbstmord begangen. Dr. Peter verglich ihren Tod in der ausgebrannten Reichskanzlei mit dem dramatischen Untergang der Nibelungen in der brennenden Burg Etzels.
Dennoch gaben sich die Fanatiker nicht geschlagen. In Flensburg bildete Dönitz eine «geschäftsführende Reichsregierung», deren Tätigkeit darauf zielte, das Kriegsende hinauszuzögern und durch Teilkapitulationen mit Großbritannien und den USA einen Keil in die Antihitlerkoalition zu treiben.
«Heil Dönitz!» grüßte der alte Oberstleutnant eines Morgens vernehmlich. Gleich ihm gab es viele, die ihre letzte Hoffnung auf Dönitz setzten. Gerber gehörte nicht dazu. Auch nicht der Luftwaffenmajor Kämpfe, obwohl er braun war bis ins Mark. Kämpfe konnte nicht verwinden, daß Hitler den Großadmiral zu seinem Nachfolger bestimmt und Göring einfach übergangen hatte.
Am 23. Mai
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