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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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Oberstfeldmeister eine lange Rede. Er sprach von den hohen Zielen des Reichsarbeitsdienstes, der die Unterschiede der sozialen Herkunft und Vermögensverhältnisse beseitigt habe, von den gleichen Rechten aller Arbeitsmänner und vom Adel der Arbeit.
    Nach den Erlebnissen mit Jaksch und Busch wußten die jungen Männer, wie sie die Worte des Oberstfeldmeisters zu beurteilen hatten. Doch das regte sie jetzt nicht mehr auf. Ihre Papiere lagen ausgefertigt in der Schreibstube, und morgen würden sie dieses lausige Eckdorf auf Nimmerwiedersehen verlassen.
    Es war bereits Dienstschluß, als plötzlich Prasses Stube zum Heraustreten befohlen wurde. Ein Lastwagen mußte entladen und sein Inhalt. in der Vorratskammer verstaut werden. In den Kisten befanden sich zweihundert Flaschen Rotwein. «Weihnachtszuteilung!» sagte der Verwaltungsleiter kurz.
    Bescheiden fragte Koppelmann, ob nun jeder eine Flasche mitnehmen dürfe, gewissermaßen als Abschiedsgeschenk, oder ob vielleicht noch eine Feier geplant sei?
    Der Verwaltungsleiter wurde ungehalten. «Das ist ausschließlich für Weihnachten bestimmt!» schrie er. «Schert euch an die Arbeit! Der Wagen muß wieder zurück!»
    Da die nächste Gruppe erst am 3. Januar anrückte, war die Sache völlig klar: Eine Handvoll Feldmeister, Obervorleute und Truppführer wollten die zweihundert Flaschen allein austrinken. Gewöhnliche Arbeitsmänner hatten darauf keinen Anspruch.
    Im Schutze der Dunkelheit gelang es Prasse und Gerber, eine Kiste abzuzweigen. So kamen sie wenigstens nicht mit leeren Händen nach Hause.
    Als die Feldmeister den Verlust bemerkten, saßen die vier ehemaligen Arbeitsmänner längst im Zug. Vergnügt ließen sie eine Flasche kreisen. Sie waren der festen Überzeugung, daß Zustände wie in Eckdorf bei der Wehrmacht nicht geduldet würden, schon gar nicht bei der Kriegsmarine.

 
    3. Kapitel
    Schleifinsel Dänholm
    Nach den Weihnachtsfeiertagen führten die drei Freunde eine mehrstündige Beratung durch, um die politische Lage zu ergründen. In dem vertrottelten Eckdorf, wo kein Arbeitsmann eine Zeitung hielt, war ihnen manches Ereignis nicht recht zum Bewußtsein gekommen.
    Trotz des großen Geländegewinns, trotz der ausdrücklichen Versicherung, daß alles «ganz planmäßig» verlaufen sei, war der Feldzug im Osten noch immer nicht beendet. Vor Moskau und Leningrad, die längst erobert sein sollten, war der Vormarsch ins Stocken geraten. An mehreren Stellen ging es sogar rückwärts, wenn man die vagen Andeutungen im Wehrmachtsbericht zu entschlüsseln verstand.
    Vor Moskau hatte offenbar eine große Schlacht stattgefunden. Plötzlich tauchten in den Meldungen wieder Ortsnamen auf, die hundertfünfzig Kilometer von der sowjetischen Hauptstadt entfernt lagen. Urlauber erzählten von chaotischen Rückzügen bei eisiger Kälte und vom Zusammenbruch ganzer Frontabschnitte.
    Lazarettzüge brachten Tausende von Soldaten mit erfrorenen Gliedmaßen in die Heimat. In aller Eile mußten Textilien gesammelt und an die Front befördert werden, denn die Ausrüstung der Armee war für einen Winterkrieg völlig unzureichend. Niemand konnte mehr behaupten, die Ereignisse der letzten Wochen und Monate seien «ganz planmäßig» verlaufen.
    Seit Anfang Dezember zählten auch die USA zu den Gegnern Deutschlands. Schon längere Zeit hindurch hatten sie offen und auf der Grundlage eines Pacht- und Leihvertrages das befreundete Großbritannien unterstützt. Im Fernen Osten gab es diplomatische Reibungen mit Japan, das sich zunehmend in China breitmachte und die französischen Kolonien besetzt hielt. Die Lage war nicht so ganz überschaubar, jedenfalls verschlechterten sich die Beziehungen zwischen den USA und Japan rapide, bis die Amerikaner schließlich jede Ausfuhr von Erdöl und anderen wichtigen Rohstoffen nach Japan untersagten.
    Damit waren die Würfel gefallen. Japan eröffnete den Krieg mit einem überraschenden Luftangriff auf den amerikanischen Flottenstiitzpunkt Pearl Harbor, bei dem zahlreiche Kriegsfahrzeuge verlorengingen, darunter mehrere Schlachtschiffe. Die Angaben in den Meldungen schwankten, aber eines war klar: An jenem Sonntagmorgen hatten die Amerikaner «ihre Klüsen auf Null gehabt» - wie Heinz Apelt das ausdrückte - und im Pazifik eine schwere Niederlage erlitten.
    Das Taschenbuch der Kriegsflotten wurde zu Rate gezogen, die beiderseitige Flottenstärke ermittelt. Daraus ging hervor, daß die Japaner in den letzten Jahren gewaltig aufgerüstet hatten,

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