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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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großdeutschen Volksgemeinschaft.
     
    Die Kantine war dem Arbeitsmann Jaksch anvertraut. Jaksch war zusammen mit den anderen eingetroffen, hatte eine Woche lang den üblichen Dienst mitgemacht und dann seinen Platz hinter der Theke eingenommen. Normalerweise standen derartige Posten einem Obervormann zu, der seine Ausbildung bereits hinter sich gebracht hatte. Jaksch hingegen ließ sich auf dem Exerzierplatz, beim Sport oder in der Muna nie mehr blicken, angeblich mußte er Abrechnungen und Bestandsaufnahmen erledigen. Abends hielt er seine Kantine einige Stunden offen, schenkte dünnes Bier aus, verkaufte Streichhölzer, Zahnpasta und andere Kleinigkeiten. Den Arbeitsmännern war unbegreiflich, wie er sich diese angenehme Stellung erschlichen haben konnte.
    Jede zweite Woche fuhr Jaksch für ein paar Tage in Urlaub. Niemand sonst erhielt eine Genehmigung, nach Hause zu fahren. Bei Jaksch wurden die fadenscheinigsten Begründungen anerkannt. Solange er fort war, blieb die Kantine geschlossen. Wer eine Schachtel Streichhölzer brauchte, durfte kilometerweit zum Kretscham der nächsten Ortschaft laufen.
    Nachdem Jaksch wieder im Lager eingetroffen war, hielten die Feldmeister eine große Feier ab, bei der ein Faß ausgezeichnetes Bier angestochen wurde. Der Vater von Jaksch besaß eine Brauerei. Das hatte der Oberst aus den Personalpapieren sofort herausgefunden, und so war jener eigentümliche Tauschhandel - Urlaub gegen Starkbier - zustande gekommen. Die Empörung der Arbeitsmänner brandete hoch, aber sie konnten nichts unternehmen.
    Der Fall Jaksch war keineswegs der Gipfelpunkt von Ungerechtigkeit und Bevorzugung. Etwa zwei Wochen vor Beendigung der Dienstzeit, als der Termin für die Heimfahrt schon das Hauptgesprächsthema bildete, erschien plötzlich der Oberst in Begleitung von Rutsche in der Truppstube. Prasse brüllte erschrocken «Achtung!» und meldete.
    Eigenhändig unterzog der Oberst das noch leerstehende Bett einer gründlichen Inspektion. Eine gebrochene Feder wurde ausgewechselt. Unter Aufsicht von Rutsche mußten die Stubeninsassen einen besseren Strohsack heranschleppen und einen überzähligen Spind mit Seifenlauge abschrubben, wozu die Küche völlig regelwidrig sogar heißes Wasser lieferte. Vergebens grübelten sie nach der Ursache dieses Übereifers.
    Am nächsten Tag hielt vor dem Lagertor ein graugrüner Kübelwagen der Wehrmacht. Ihm entstieg ein blasser, ängstlich blickender Jüngling in Zivil, der dem Posten erklärte, er sei der «Arbeitsmann» Busch. Höflich geleitete ihn der Obervormann zur Schreibstube. Der mit Koffern,beladene Fahrer folgte.
    Abends kamen die vier müde und hungrig aus der Muna. Erstaunt musterten sie den Neuling. Busch gab sich kameradschaftlich. Er reichte eine Packung Navy Cut herum, auf der ein bärtiger Seemann abgebildet war. Gerber erbat sich den bunten Deckel der Packung und heftete ihn an seine Spindtür.
    Wie sich herausstellte, stammten die Zigaretten aus erbeuteten britischen Beständen. Buschs Vater war Generaloberst. Mit einem Wink seines kleinen Fingers hätte er die kerngesunden Arbeitsdienstführer zu einer beliebigen Infanterieeinheit an die Front schicken können. Begreiflicherweise wollte keiner der Feldmeister einen solchen Ortswechsel riskieren. In Eckdorf lebten sie ruhiger.
    Nach dem Frühstück wurde Busch unter der Assistenz eines Obervormanns eingekleidet. Der Kammerbulle rückte seine besten Sachen heraus, darunter eine nagelneue Tuch -II- Garnitur. Gegen zehn Uhr erschien Busch auf dem Exerzierplatz. Da er von Spatengriffen keine Ahnung hatte, erteilte ihm der Obervormann Privatunterricht. Zur Mittagszeit marschierte der Zug wieder ins Lager. Wenig später klagte Busch über Rückenschmerzen, die sich von Stunde zu Stunde verschlimmerten. Er humpelte zum Krankenrevier und wurde von dem Heilgehilfen wegen Verdacht auf Rippenfellentzündung zur Beobachtung dabehalten. Busch lag in einem weißbezogenen Bett, das Essen wurde ihm gebracht, er brauchte keinen Dienst zu machen. Manchmal sah man sein Gesicht hinter der Fensterscheibe.
    Die Arbeitsmänner fluchten in allen Mundarten. In der Beurteilung des Falles waren sich Bayern, Pommern und Schlesier vollkommen einig.
    Der Sohn des Generaloberst blieb im Krankenrevier bis zu seiner Entlassung. Genau wie den anderen wurde ihm bescheinigt, daß er die dreimonatige Dienstzeit erfolgreich absolviert hatte.
    Der letzte Tag war gekommen. Es war der 16. Dezember. Am Nachmittag hielt der

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