Irrfahrt
die Höchstpunktzahl.
Hohe Anforderungen stellte man an die Leistung der Augen: Seeleute müssen gute Sehleute sein. Viele Bewerber scheiterten, weil sie mit Farbenblindheit oder anderen Mängeln behaftet waren.
Die größte Angst hatten die Kandidaten vor der psychologischen Prüfung. In der Hauptsache ging es darum, wie der einzelne auf unerwartete Fragen reagierte, ob er aufgeweckt und schlagfertig war. Offensichtlich verfügte der Psychologe nur über einen begrenzten Vorrat an Fragen; die meisten kannten die drei Freunde schon aus ihrer Unterhaltung mit Tetzlaff. «Wie lang ist ein Bindfaden?» wurde Gerber gefragt. Der erwiderte ohne Zögern: «Doppelt so lang wie von der Mitte bis zum Ende.» Das galt als eine gute Antwort. «Woran erkennt man den Offizier, wenn er nackt in der Badewanne sitzt?» wollte der Prüfer von Koppelmann wissen. «An seiner strammen militärischen Haltung», lautete die zufriedenstellende Antwort.
Weniger Glück hatte Apelt. «Was machen Sie, wenn Sie morgen früh aufwachen und einen Holzkopf haben?» Darauf Apelt: «Ich gehe zur Kriegsmarine und werde Psychologe!» Apelt mußte sofort den Raum verlassen. Doch bei dem großen personellen Bedarf der Kriegsmarine drückte man ein Auge zu. Außerdem war der Psychologe nur ein Beamter mit silbernen Ärmelstreifen, und «Silberlinge» standen nicht hoch im Kurs.
Hart war die Prüfung im Sport. Eine Bahn mit Hindernissen war zu nehmen, danach mußten sie an einem dünnen Tampen hochklettern, der sich viel schwerer bewältigen ließ als die dicken Taue in der Schule. Waren sie oben angelangt, wurde die Zeit gestoppt. Einige schafften es nicht, obwohl sie bisher immer überdurchschnittliche Leistungen erzielt hatten. Den Abschluß bildete Turnen am Hochreck. Apelt turnte Schwungstemme, Riesenfelge und Bücke als Abgang. Für diese einwandfrei absolvierte Übung gab es nicht einmal die höchste Wertung. Der Grund war leicht zu erkennen. In der Halle übten gleichzeitig einige Maate, die hervorragende Geräteturner waren. Bei der Marine hatte diese Sportart eine lange Tradition, und demzufolge hatte man die Anforderungen hochgeschraubt.
Schulzeugnisse und Schwimmscheine wurden in die Punktwertung einbezogen, die Ariernachweise sorgfältig geprüft. Eine jüdische Urgroßmutter führte unweigerlich zur Ablehnung. Wer eine der geforderten Urkunden nicht beibringen konnte, kam für die aktive Laufbahn nicht in Betracht.
Am zweiten Tag wurde das Ergebnis verkündet. Etwa die Hälfte der Bewerber war durchgefallen. Apelt, Gerber und Koppelmann gehörten zu den Angenommenen.
Frohgestimmt fuhren sie nach Eckdorf zurück.
Der Arbeitsdienst verfolgte offenbar das Ziel, die Einwohner der deutschen Gaue einander näherzubringen. Angehörige verschiedener Stämme fanden sich in einem Durchgang vereinigt. Bayern, Pommern und Schlesier waren etwa zu gleichen Teilen vertreten.
Die Bayern hielten sich von Anfang an abseits. In den Augen der waschechten Oberbayern waren sogar ihre unmittelbaren Nachbarn, die Franken, nicht ganz vollwertig. Alles, was nördlich der Donau lag, war «Saupreußen», weshalb dieser Fluß als «Weißwurstäquator» in die Umgangssprache einging. Die Bezeichnung «Saupreußen» verwendeten sie oft in provozierender Weise. Die Betroffenen rächten sich. Im Sprechchor rezitierten sie einen unanständigen Vers, der von den «Männern aus dem finsteren Bayern» wenig Schmeichelhaftes zu berichten wußte.
Der schwelende Konflikt entlud sich, als eines Mittags Weißwürste und Sauerkraut auf den Tisch kamen. Während die Bayern ihr Nationalgericht lobten, waren alle Nichtbayern bemüht, es nach besten Kräften herabzusetzen. Bezeichnungen wie «Dreckschläuche», «rasierte Mäuse» oder «graue Schwestern» waren noch die mildesten. Schließlich verstieg sich Heinz Apelt zu der Behauptung, der Hund des Oberstfeldmeisters habe an einer solchen Wurst geschnuppert und sich geweigert, sie zu fressen.
Da brach der Sturm los. Apelt erhielt eine kräftige Ohrfeige, andere mischten sich ein, und in Sekundenschnelle war eine wilde Schlägerei im Gange. Bänke kippten um, Schüsseln gingen in Scherben, auf dem Boden wälzten sich Knäuel von Arbeitsmännern. Nie waren sich die Gaue so nahe gewesen!
Die Bayern waren in der Minderheit und bezogen Dresche. Einige von ihnen mußten das Krankenrevier aufsuchen. Natürlich hatte die Sache ein Nachspiel. Diese Art und Weise, Tuchfühlung zu nehmen, war eine Mißachtung der vielgepriesenen
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