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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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«Kopfschuß», sagte die Frauenschaftstante. «Armer Junge!»
    Auf den Stationen amtierten tüchtige Fachärzte. Gerbers Zustand besserte sich. Zur Vorsicht behielt man ihn aber noch einige Tage länger dort.
    Als er sich auf Dänholm zurückmeldete, schlug der Spieß entsetzt die Hände vors Gesicht. «Mann Gottes, drei Wochen haben Sie keinen Dienst mitgemacht. Schießen Sie bloß in den Wind, sonst versauen Sie uns die ganze Richtung!» Dann telefonierte er mit einem Sanitätsfeldwebel. Gerber wurde noch für drei Tage innendienstkrank geschrieben. In der Zwischenzeit fand die Besichtigung der Kompanie statt.
    Tagelang polierten die Rekruten ihre Felddienstuniform auf Hochglanz. Sogar die Kragenspiegel und Abzeichen funkelten; findige Jungens hatten sie mit Zahnpasta eingerieben. Eine halbe Stunde vor der befohlenen Zeit mußte die Kompanie heraustreten. Mit einer Schnur wurde die Front ausgerichtet. Gerber saß im ersten Stock am Fenster und schaute seelenruhig zu.
    Pünktlich auf die Minute erschien der Chef, Konteradmiral Rogge. Krause ließ den Haufen stillstehen, Gewehrpräsentieren und meldete. Es klappte einigermaßen.
    Dann folgten grausame Stunden. Einzelmarsch mit Gewehr auf der Schulter. Zugexerzieren. Sport. «Flaggen Caesar» wurden verteilt: Über zwanzig Meter Entfernung mußte ein Winkspruch weitergegeben werden, der nur aus einem Wort bestand. Manche brauchten eine Viertelstunde, bis Ihre Botschaft «ankam».
    Trotzdem war der Admiral zufrieden. Die anderen Kompanien hatten keine besseren Leistungen gezeigt. Der Mann war nicht verwöhnt.
     
    Die Besichtigung war ein untrügliches Zeichen dafür, daß die Ausbildungszeit nun ihrem Ende zuging.
    Abschiedsabend. Der Kompaniechef Krause hielt eine markige Rede. «Kameraden!» begann er. Das hörten die jungen Matrosen zum erstenmal.
    Bier und Zigaretten standen auf der Back. Die Stimmung lockerte sich, als auf der Bühne die seit Jahrzehnten üblichen Scherze abrollten. Der Spieß mußte mit einem alten Schießprügel einen vorschriftsmäßigen Präsentiergriff ausführen. Da er schon reichlich Bier getrunken hatte, verlor er dabei fast das Gleichgewicht.
    Alle bogen sich vor Lachen, nur Gerber blieb still. Eine schlechte Nachricht bedrückte ihn. Er wußte nicht, wie er sie den Freunden beibringen sollte.
    «Was ist denn los mit dir?» fragte Helmut Koppelmann besorgt.
    Ein Rekrut mimte Dienstunterricht. «Der Matrose neunzehnhundertzweiundvierzig Strich eins wurde im Jahre 1942 in die Kriegsmarine eingeführt. Er ist eine brauchbare Schuß-, Hieb- und Stichwaffe. Sie reagiert auf Druck und rastet bei Überlastung hörbar ein...» Der blöde Text über das Gewehr 98 war nur wenig verändert.
    «Irgendwas stimmt doch nicht, mein Alter!» Immer wieder drang Helmut in seinen Freund Gerhard. Aber der konnte es nicht übers Herz bringen, ihm die Wahrheit zu sagen.
    Am Morgen war Gerber auf die Schreibstube gegangen, hatte sich bei dem dicken Maat vorsichtig nach Kommandierungen erkundigt. Der Maat blätterte in seinen Unterlagen. «U-Boot-Waffe? Tut mir leid, Matrose Gerber. Sie haben doch im Lazarett gelegen, mit einer Ohrengeschichte. In den Entlassungspapieren steht: Nicht U-Boot-tauglich. Tut mir leid, junger Mann!»
    Und das war noch nicht alles. Der freundliche Maat verriet ihm, daß nur Koppelmann zu den U-Booten kommen würde. Apelt war für ein Sonderkommando vorgesehen.
    Die Theatervorstellung begann: Faust dritter Teil. Faust zur See. Auch das war schon ein alter Hut. Koppelmann hatte die Textstellen geschickt ausgewählt, einige davon ein wenig modernisiert. Natürlich wurde die Fließbandausbildung der Marine aufs Korn genommen:
    Und dem verdammten Zeug, der Tier- und Menschenbrut, Dem ist nun gar nichts anzuhaben: Wie viele hab ich schon begraben, Und immer zirkuliert ein neues, frisches Blut! So geht es fort, man möchte rasend werden!
    Noch wußte keiner, welches Kommando ihn erwartete. Auch darauf zielte eine Stelle:
    Der Geist der Kriegsmarin ist leicht zu fassen, Denn ihr durchfahrt den großen und kleinen Belt, Um es am Ende gehn zu lassen, Wohin den Admiralen es gefällt.
    Die beiden Zeilen von Goethe:
    Krieg, Handel und Piraterie, Dreieinig sind sie, nicht zu trennen
    ließ die strenge Zensur passieren; man nahm sie für eine Anspielung auf die britische Politik der letzten vier Jahrhunderte.
    Helmut Koppelmann erntete für seine Leistung uneingeschränktes Lob. Der Kompaniechef ließ ihn rufen und prostete ihm leutselig zu: Welch

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