Irrfahrt
manches interne Gespräch mit und war ein wandelndes Nachrichtenblatt.
Bootsmaat Kern kommandierte gern herum. Nur hatte er damit bei den Besatzungsmitgliedern wenig Glück. Wegen seiner geringen Sachkenntnis, vor allem in technischen Dingen, wurde er nicht für voll genommen. Kern hatte keinen Beruf erlernt, er war Gelegenheitsarbeiter gewesen. In seinen ersten Dienstjahren fiel er durch strammes Betragen auf. Daraufhin schickte ihn ein von allen guten Geistern verlassener Kommandant auf die Marinelehranstalt und ließ ihn Bootsmaat werden. Das war Kern nun schon zwei Jahre, und er würde es aller Voraussicht nach auch bleiben.
Die Torpedos betreute Paul Frase, Uhrmacher aus Württemberg. Frase war der ideale Torpedomixer. Er verstand wie kaum ein zweiter mit den empfindlichen Instrumenten dieser Apparate umzugehen und kannte ihre Tücken. «Torpedos muß man behandeln wie zarte Jungfrauen», lautete seine Devise.
Frase war ein Spezialist, er brauchte weder Aufpasser noch Antreiber.
Kern der es wieder einmal nicht lassen konnte, gab Frase eine dienstliche Anweisung. Frase drehte sich um und sagte ruhig: «Davon verstehen Sie nichts, Bootsmaat!» Kern geriet in Wut. «Was fällt Ihnen ein! Das ist Befehlsverweigerung! Außerdem haben Sie zu sagen!» Sofort lief er zum Kommandanten und erstattete Meldung. Gelassen hörte Harms sich die Geschichte an und sagte: «Einen Torpedomechaniker wie Frase bekommen wir nie wieder. Blödmannsmaate wie Sie gibt es in der Marine so viele wie Kakerlaken auf einem vergammelten Dampfer!» Er warf Kern hinaus.
Harms wollte den Erfolg, um jeden Preis. Die Waffe der Schnellboote waren Torpedos. Wenn sie versagten, schlecht geregelt oder mangelhaf t gepflegt wurden, konnte er einpacken. Daher brauchte er Frase. Kern war Nebensache.
Alle fanden, daß der Kommandant richtig handelte. Dem großmäuligen Bootsmaat gönnten sie die Schlappe, und Heinz Apelt grinste vor Schadenfreude.
Durch diesen Zwischenfall stieg Frases Ansehen. Mit seiner hohen Sachkenntnis kam er gleich nach Spindler. Können wog auf den Schnellbooten mehr als Dienstalter.
Löhnungsappell. Der Verwaltungs-Oberleutnant, sozusagen eine Art Zahlmeister, kam reihum auf alle Boote. Bei der niedrigen Besatzungszahl hatte er seine Aufgabe jedesmal in wenigen Minuten beendet.
Höflich geleitete Harms den Oberleutnant an Bord. Die Männer traten einzeln vor. Für die älteren Dienstgrade ergaben Wehrsold, Frontzulage, Seetage und andere Zulagen eine erkleckliche Summe. Apelt erhielt nur einige Scheine, die jeweils dem Betrag von fünf Reichsmark entsprachen. Aber er war froh, daß er überhaupt etwas bekam.
Schon vor der Auszahlung hatten sich die Männer landfein gemacht. Kaum war der Zahlmops von Bord, sammelten sie sich an der Pier. «Wer steht Wache?» Heinz Apelt durchzuckte ein Schreck. Von Gerber wußte er, daß damit immer der Jüngste beauftragt wurde. Aber Spindler hatte anders entschieden. Für eine Kiste Zigarren erklärte sich ein Maat vom achteraus liegenden Vorpostenboot bereit, eine Wache zu stellen. Die Vorpostenboote hatten monatelang keinen scharfen Schuß abgegeben; demzufolge war ihre Zuteilung an Marketenderwaren gering. Die Schnellboote hingegen bekamen als Eliteeinheiten soviel sie haben wollten. Eine Kiste Zigarren spielte bei ihnen keine Rolle.
Die Besatzungen überließen ihre Fahrzeuge der Obhut des Wachtpostens und gingen an Land. Holland war neu für sie. Niemand wußte, wie lange sie noch hier liegen und ob sie jemals in diesen Hafen zurückkehren würden. Eine «dicke Sache» rollte auf sie zu. Daher wollten sie vom Leben mitnehmen, was sich bot.
Zu elf Mann zogen sie los. Spindler machte den Anführer, er bestimmte den Weg. Obwohl er die Stadt ebensowenig kannte wie die anderen, folgten sie ihm widerspruchslos. Sie waren daran gewöhnt, Spindler zu folgen. Heinz Apelt empfand es als Auszeichnung, daß er dabei sein durfte. Wäre es nach Bootsmaat Kern gegangen, hätte er Wache schieben müssen.
Bereits im Logis waren Bemerkungen gefallen, was dieser und jener an Land vorhatte. Heinisch wollte «einen Schlag hacken», die Maschinisten sprachen vom «Soldatenheim drei». Apelt wußte aber durch den Obergefreiten, daß es in der Stadt nur zwei Soldatenheime gab. Brüllendes Gelächter war die Antwort. Schließlich kündigte der dicke Smutje an, er werde abends bestimmt «eine Viermotorige abschießen». Aus alledem schloß Apelt, daß ein reichhaltiges Programm geplant
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