Irrfahrt
hatte. Aufmerksam hörten die Maschinisten zu. Außer einigen Kommandos, dem Ruck beim Ausstoßen der Torpedos und ein paar Meldungen, die bruchstückhaft aus der Zentrale hereingesickert waren, hatten sie vom Verlauf des Gefechtes nichts mitbekommen.
Thieme hatte für jeden zwei Glas Wein bewilligt. Zum Schluß spendierte er noch einen Schnaps. Von solch kleinen Mengen wurde natürlich keiner betrunken. Die Männer waren andere Zuteilungen gewohnt.
Allerdings gab es eine Ausnahme: Bootsmann Huhn. Im nüchternen Zustand schnitt er niemals auf oder erzählte Unsinn. Kaum hatte er einige Promille im Blut, war er nicht wiederzuerkennen. «Als ich noch Wetterflieger im Himalaja war...», begann eine seiner berühmten Geschichten. Natürlich glaubte ihm das niemand, aber er brachte eine willkommene Abwechslung in das eintönige Dasein.
Huhn war schon bei der nächsten Geschichte, als Koppelmann Zeit fand, hinzuhören. «Wir kreuzten gerade mit unserer Dreimastbark am Wendekreis des Herings», sagte der Bootsmann, ohne seine kurze und immer kalte Stummelpfeife aus den Zähnen zu nehmen. Jeder wußte, daß Huhn in Friedenszeiten über die Nordsee niemals hinausgekommen war. Heute war er auf allen Weltmeeren zu Hause. «In Hawaii traf ich einmal am Strande von Waikiki gegen Mitternacht ein splitternacktes Mädchen ... »
Helmut war nicht bei der Sache. Die Schreie der sterbenden Männer gellten ihm noch in den Ohren. Immer wieder sah er die grausigen Bilder vor sich. Eigentlich war es gemein, die Korvette während der Rettungsaktion zu torpedieren. Verstieß das nicht gegen die Seenotbestimmungen? Die Männer von der «Bactria» waren doch Zivilisten ... Merkwürdig, daß er sich diese Frage erst jetzt stellte. Der Kaleu hatte alle möglichen Ausführungen gemacht, aber dazu hatte er nichts gesagt.
Als die Ablösung vom Dienst kam, durfte sie als zweite Schicht essen und trinken. Thieme, seine Wachoffiziere und der Leitende Ingenieur blieben sitzen und wechselten sogar einmal die Plätze, um jedem ein freundliches Wort zu sagen. Die gute Stimmung unter der Besatzung war wichtig; ihnen standen noch harte Tage bevor.
Die harmonische Feier endete mit einem schrillen Mißklang. Ein alter Fahrensmann, der einen einzigen Schnaps für Knauserigkeit hielt, blickte auf sein leeres Glas und fragte mit aller gebotenen Höflichkeit: «Wären Herr Kaleu vielleicht geneigt, der Besatzung ... » Darauf lief ein Backschafter voreilig zur Pantry.
Das fand Thieme im höchsten Maße ungehörig. Sofort waren zwei Arreststrafen fällig. Er erhob sich brüsk und winkte seinen Offizieren, ihm zu folgen.
Am Nachmittag meldeten die Ausguckposten Rauchfahnen an Steuerbord. Das Boot hing erneut am Geleit. Thieme ließ Höchstfahrt laufen und wollte sich vor den Konvoi setzen. Fünfundvierzig Grad aus vorlicher Stellung war die klassische Angriffsposition.
Der Geleitschutz war verstärkt worden. In Tauchfahrt glaubte Thieme zwei neue Zerstörer und zwei Korvetten mehr entdeckt zu haben. Offenbar betrachtete das Oberkommando der Western Approaches den Konvoi als bedroht und hatte eine «fliegende Gruppe», die im Atlantik kreuzte, herangeholt. Thieme schloß daraus, daß auch andere deutsche U-Boote im Anmarsch sein mußten.
Es wäre glatter Selbstmord gewesen, das gut abgesicherte Geleit allein angreifen zu wollen. In weitem Abstand ließ Thieme auftauchen und gab seine Beobachtungen verschlüsselt nach Paris, dem neuen Sitz des BdU-Stabes, durch. Zehn Minuten später bekam er die Bestätigung, zusammen mit einem Befehl: «Am Geleit bleiben und warten!» Andere Boote sollten zum Konvoi aufschließen. Die U-Boot-Gruppe «Hecht» wurde gebildet. Ein treffender Name, dachte Koppelmann, die Hechte werden im Karpfenteich schon zuschnappen.
Thieme hatte bei der kurzen Besichtigung sofort eine neue Chance gewittert. Ein größeres Fahrzeug war dem Geleit vorausgeeilt. Das kam öfter vor. In den Konvois herrschte nicht immer strenge Disziplin, und im Grunde genommen hatte der führende Zerstörer seinen Handelsdampfern überhaupt keine Befehle zu erteilen. Der liberale britische Geist verhinderte eine derartig straffe militärische Führung. Außerdem war es schwierig, so viele Fahrzeuge verschiedener Größe, Geschwindigkeit, Bestimmung und Ladung unter einen Hut zu bekommen, vor allem dann, wenn sie einem halben Dutzend Nationen angehörten. Thieme hätte mit einem Geleitzugführer um keinen Preis tauschen mögen.
Auf den Einzelfahrer, der
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