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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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seinem Geleit enteilt war, richtete der Kommandant sein Augenmerk. Was er am achteren Ende des Konvois geschafft hatte, mußte auch hier möglich sein.
    Die neu hinzugekommenen Zerstörer waren offenbar nicht an eine feste Position gebunden. Sie fuhren eine Art zusätzliche Seitensicherung und hatten einen großen, aber nicht genau abgegrenzten Suchsektor. Zweimal mußte Thieme alarmtauchen, weil ihm ein Zerstörer zu dicht auf den Pelz kam. Als er wieder auftauchen konnte, hatte er gegenüber dem Geleitzug mehrere Meilen verloren. Schließlich wurde es Abend, und immer noch war von dem Einzelfahrer nichts zu sehen. Es hatte keinen Zweck, nachts auf gut Glück näher heranzustoßen.
    Wie zu erwarten war, rückte der Konvoi in der Nacht dichter zusammen. Vorübergehend ging er sogar auf langsamere Fahrstufe, um das Aufschließen zu erleichtern. Die Geleitfahrzeuge hielten eine feste Position ein.
    Thieme und seine Männer hatten nicht mehr den Eindruck, dem Verband allein gegenüberzustehen. Zweimal wurden Wasserbomben geworfen, und mehrfach zogen die Korvetten überraschend eine Suchschleife. Irgendwo mußten andere Boote am Geleit hängen.
    Der Zerstörer, den Thieme am Nachmittag auf geringe Entfernung beobachtet hatte, war mit einem Sonderauftrag abkommandiert worden. Er lief auf der «dunklen» Seite des Geleites in größerem Abstand und gab in der Nacht mehrmals Notsignale, funkte SOS, ließ Leuchtgranaten und rote Raketen steigen. Die U-Boote sollten annehmen, daß diese Zeichen von getroffenen Dampfern stammten. Damit wollte man sie über den wirklichen Standort des Konvois täuschen und zu dem Leichtsinn veranlassen, den schwerbewaffneten Zerstörer anzugreifen.
    Thieme lächelte überlegen. Derartige Mätzchen hatten 1940 einige Erfolge gebracht, weil sie neu waren und völlig überraschend kamen. Heute würde nur ein Greenhorn darauf hereinfallen. Aber die Engländer versuchten es immer noch, sobald mehrere Boote einen Geleitzug bedrohten.
    Bis zum nächsten Vormittag hatte Thieme einen genügenden Vorsprung herausgearbeitet. Alle halbe Stunde erschien er auf der Brücke, um sich das Geleit zeigen zu lassen. Undeutlich waren die schwachen Rauchfahnen Steuerbord achteraus zu erkennen. Querab stand «sein» Pott, den bisher noch keiner aus der Nähe gesehen hatte.
    In den Abendstunden ging der Kommandant vorsichtig heran. Immer wieder schaute er in südlicher und westlicher Richtung gegen den dunkler werdenden Horizont. Er versuchte sich vorzustellen, daß dort ein Unterseeboot stünde. Bis zu welcher Entfernung wäre es noch sichtbar? Feingefühl und Erfahrung gehörten dazu, den erforderlichen Mindestabstand zum nächsten Boot richtig abzuschätzen. Thieme beherrschte diese lebenswichtige Technik ausgezeichnet.
    Schon längst ragten die Mastspitzen des fremden Fahrzeugs über die Kimm, bald auch die Aufbauten. Mehr als fünf Meilen vor dem Geleitzug lief es, fern von jedem Sicherungsfahrzeug.
    Jetzt wurde es Zeit für Thieme, sich eingehender mit ihm zu befassen. Es war kein Dampfer, sondern ein größeres Motorschiff, wie die Abgaswolke auswies: ein «dicker Jonny». Der Schornstein lag weit achtern - Thieme hatte es als erster bemerkt. «Vermutlich ein Tanker», sagte er. Natürlich behielt er damit recht.
    Als die Aufbauten deutlicher sichtbar wurden, erkannten die Brückenwächter zwei Einschnitte zwischen Vorschiff und Brücke und zwischen Brücke und Achterdeck. Der stark ausfallende Bug und ein typisches Kreuzerheck lieferten weitere Anhaltspunkte. Schließlich einigte man sich auf die komplizierte Formel 1ibi1si. Das konnte nur die AndalusiaKlasse sein.
    Die Daten waren eindrucksvoll genug: 9973 Bruttoregistertonnen, 153 Meter lang. Ein Tanker unter norwegischer Flagge, der früher auf einer wilden Trampfahrt gelaufen war und jetzt Erdöl für Großbritannien transportierte. Einen Augenblick bedauerte Thieme, den Geleitzug beim Auslaufen erfaßt zu haben. Sicher fuhr der Tanker in Ballast; ein vollbeladenes Schiff wäre wertvoller gewesen. Aber auch so war der Tanker ein fetter Brocken, der jedes Risiko lohnte.
    Thieme hatte große Mühe, ruhig zu bleiben. Normalerweise war er kein Draufgänger, sondern ein kühler Rechner, der gelassen seine Chancen wahrnahm. Jetzt hatte auch ihn das Jagdfieber gepackt. Er lag wie ein Vorstehhund an der Leine und wäre am liebsten losgeprescht. Im Widerstreit der Gefühle behält seine nüchterne Überlegung nur knapp die Oberhand.
    Als erstes wollte Thieme einen

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