Irrsinn
sicher sein, dass er in der Lage war, einen womöglich unschuldigen Me n schen so brutal zu beha n deln, dass dieser den Mund hielt.
Behutsam ballte und öffnete er seine leicht steife linke Hand. Einmal, dann noch einmal.
Nun gab es wieder zwei Optionen, zwischen denen er sich diesmal allerdings nicht unter Zwang entscheiden musste: Entweder brachte er sich in eine Lage, in der er einem eventuell Unschuldigen Schmerzen zufügen und ihn einschüchtern musste, oder er schob die Sache auf, grübelte weiter nach und wartete darauf, was geschah – und brachte Barbara damit womöglich in noch größere Gefahr.
Du hast die Wahl.
So war es immer schon gewesen, und so würde es auch immer sein. Handeln oder nicht handeln. Abwarten oder losmarschi e ren. Eine Tür schließen oder eine öffnen. Sich vom Leben zurückziehen oder an ihm teilnehmen.
Er hatte weder Stunden noch Tage, um dieses Dilemma zu analysieren. Das war gut, denn wenn er Zeit gehabt hätte, dann hätte er sich in dieser Analyse nur verloren.
In dem, was er durch harte Erfahrungen gelernt hatte, suchte er eine Weisheit, die er auf die derzeitige Situation anwenden konnte, doch er fand keine. Die einzige Weisheit war die Weisheit der Demut.
Im Grunde konnte er seine Entscheidung ausschließlich von der Reinheit seines Motivs abhängig machen. Selbst dann jedoch blieb die ganze Wahrheit dieses Motivs womöglich im Dunkeln.
Er ließ den Motor an und lenkte den Wagen auf die Straße.
Den Mond, jene dünne, blasse Sichel, konnte er nirgendwo entdecken. Wahrscheinlich stand er hinter seinem Rücken.
60
Um exakt neun Minuten nach zwei parkte Billy in einer stillen Straße, zweieinhalb Blocks von Steve Zillis’ Haus entfernt.
Unter den Straßenlaternen hingen die unteren Äste von Lo r beerfeigen, und über die vom Lampenlicht vergilbten Gehsteige ergossen sich Blätterschatten wie ein Schatz schwarzer Münzen.
Billy ging ohne Eile dahin, als würde er wegen chronischer Schlaflosigkeit regelmäßig zu nachtschlafender Zeit spazieren gehen.
Die Fenster der Häuser waren dunkel, die Lichter auf den Veranden ausgeschaltet. Nicht ein einziges Auto kam vorbei.
Inzwischen hatte der Erdboden den größten Teil der tagsüber gespeicherten Hitze wieder freigegeben. Die Nacht war weder warm noch kühl.
Den mit einem Küchenhandtuch ausgekleideten Brotbeutel hatte er an seiner linken Hüfte um den Gürtel geschlungen. Im Beutel befanden sich die Handschellen, die Dose Tränengas und der Taser.
An der rechten Hüfte hing das Halfter mit der geladenen Pistole.
Er hatte das T-Shirt aus den Jeans gezogen, um es über dem Gürtel zu tragen. Es verbarg die Pistole einigermaßen. Solange man ihm nicht zu nahe kam, würde man den verräterischen Umriss der Waffe im Dunkeln nicht erkennen.
Am Haus von Zillis angelangt, bog er vom Gehsteig in die Einfahrt ein und ging zwischen der Mauer aus Eukalyptusbä u men und der Garage hindurch.
An der Vorderseite waren die Rollos heruntergezogen, doch hinten waren einige Fenster erleuchtet: das Schlafzimmer und das Bad.
Billy blieb im Garten stehen und sah sich um, damit er jede Einzelheit wahrnahm. Er wartete, bis seine Augen die Straßenl a ternen vergessen und sich besser an die Dunkelheit angepasst hatten.
Dann steckte er das T-Shirt wieder in die Jeans, um ungehi n dert nach der im Halfter steckenden Pistole greifen zu können.
Aus der Hosentasche zog er ein Paar Latexhandschuhe und streifte sie sich über.
Es war still in der Nachbarschaft. Die Häuser standen nicht weit auseinander. Billy durfte keinen Lärm machen, wenn er drinnen war. Schreie würde man ebenso hören wie einen nicht gut von einem Kissen gedämpften Schuss.
Er trat aus dem Garten auf die überdachte Veranda, auf der ein einsamer Aluminiumstuhl stand. Kein Tisch, kein Grill, keine Topfpflanzen.
Durch die Scheiben der Hintertür sah er, dass die Küche nur von zwei Digitaluhren erleuchtet war, die eine am Backofen und die andere am Mikrowellenherd.
Billy zog den Brotbeutel aus dem Gürtel und holte die Dose Tränengas heraus. Das Küchenhandtuch dämpfte das Klirren der Handschellen. Er drehte den oberen Teil des Beutels zusammen und schlang ihn wieder sicher um den Gürtel.
Den bei seinem ersten Besuch in der Küchenschublade en t deckten Zweitschlüssel steckte er vorsichtig ins Schloss und drehte ihn langsam um, damit kein Geräusch entstand, das womöglich durch das kleine Haus hallte.
Die Tür ging ungehindert auf. Der Rost brachte die
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