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Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Titel: Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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aufbauen mussten. Die Vorstellung, die Guillotine sei ohne Unterlass mit bedauernswerten Opfern geradezu gefüttert worden, hat das Bild von dieser Phase der Revolution so sehr geprägt, dass es scheint, als habe in ihr keine wirkliche Politik mehr stattgefunden. Dabei beschäftigten den Staat die heiklen Brotpreise mehr als die Erstellung von Todesurteilen, die zudem nicht so vollends wahllos ergingen wie zumeist dargestellt. Als im September 1792 in Paris Vertreter von Adel und Klerus verhaftet wurden, kam nur ein geringer Teil von ihnen aufs Schafott, die Mehrheit wurde wieder freigelassen.
    Zu Beginn der 1790er-Jahre befand sich das revolutionäre Frankreich in überaus prekärer Lage: umzingelt von den europäischen Monarchien, die in ihrer Angst, umstürzlerische Gedanken und Aktionen könnten auf ihr Land übergreifen, in grimmiger Entschlossenheit planten, die Französische Revolution Episode werden zu lassen, bevor sie Geschichte schreiben konnte. Selbst England, das ein Jahrhundert zuvor selbst eine Revolution durchlaufen hatte und ein starkes Parlament besaß, stellte sich auf die Seite der Gegner Frankreichs. Die Folge der Isolation waren steigende Lebensmittelpreise und Hungerproteste – reinstes Gift für eine etablierte Revolution, der aus Wut über ebensolche Zustände die Menschen zugelaufen waren. Es gab nicht nur die Verschwörung des Auslands gegen Frankreich, auch im Land selbst mehrten sich die Anzeichen für konterrevolutionäre Umtriebe, blutige Machtkämpfe entbrannten. Die Vorstellung von der gefährdeten Republik mochte übertrieben gewesen sein – unbegründet war sie keineswegs. Wären die Zersetzungsprozesse weitergegangen, hätte das feindliche Ausland ein sehr viel leichteres Spiel gehabt, Frankreich zu besiegen.
    Mit einer Revolution in der Revolution riss der Wohlfahrtsausschuss schließlich die Macht an sich – und man könnte meinen, die nun folgende Radikalisierung war die Cholera, während ein innerer Zerfall die Pest bedeutet hätte: Invasion des Auslandes und Wiederherstellung der Monarchie. Der Historiker Heinrich August Winkler bezeichnete die nun folgende Terrorherrschaft in diesem Sinne als »prekäre Antwort auf eine extreme Herausforderung«.
    In dieser Lage stellt der Terror bei aller Brutalität und Willkür den verzweifelten Versuch dar, Republik und Revolution zu retten. Ihn vergleichbar der Heimsuchung einer Honigwiese zu verstehen, lässt außer Acht, dass diese »Honigwiese« keine war und zudem in den umliegenden Höfen die Sensen längst geschliffen wurden.
    Dass die Frage der historischen Beurteilung eine Sache des Images ist, zeigt der Vergleich der Französischen mit der Amerikanischen Revolution, die wenige Jahrzehnte früher einen kaum weniger schrecklichen Blutzoll forderte, aber milder beurteilt wurde. Von der Französischen Revolution setzte sich hingegen das Bild durch, mit innerer Logik und bei zunehmender Verrohung und Verrat an der eigenen Sache habe sie sich auf einer schiefen Ebene zum Terror hinaufgeschaukelt. Diesem Urteil ging eine überaus produktive ausländische Propaganda voraus, die vor Übertreibungen, Entstellungen und Lügen nicht zurückschreckte. Darauf folgten Stellungnahmen von Intellektuellen, beginnend bereits 1790 mit Edmund Burkes Betrachtungen über die Französische Revolution , die im französischen Geschehen wenig Gutes erkennen. Durch das 19. Jahrhundert hindurch taten es ihm Autoren in vielen Ländern nach. Gerade in Europa blieb diese Sicht lange Zeit Mainstream – schon gar nach der Restauration im Wiener Kongress, als die alten Mächte die Uhr so weit wie nur möglich zurückdrehten. In den politischen Debatten Frankreichs reduzierten Monarchisten, auf denen die Hypothek des Ancien Régime lastete, die Revolution auf das Jahr der Schreckensherrschaft. Im 20. Jahrhundert war es dann der stalinistische Terror, der die Französische Revolution diskreditierte. Nach 1945 schließlich waren es der Eindruck der verheerenden Weltkriege und des Totalitarismus sowie die ideologischen Grabenkämpfe der Historiker in Ost und West. In der Summe gab es stets einen Grund, das Kind namens Revolution mit dem Bade des Terrors auszuschütten.
    Eine Revolution mit Maßstäben von Vernunft und Menschlichkeit zu beurteilen, auch wenn sie die Vernunft und Menschlichkeit auf ihre Fahnen geschrieben hat, ist ein zweifelhaftes Unterfangen. Wie die Politik insgesamt ist auch Revolution stets ein schmutziges, meist auch blutiges Geschäft.

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