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Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Titel: Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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dem zweitgrößten Schock noch keine Kleinigkeit.
    Was die Menschen empfanden, war überwiegend stummes Entsetzen, das sich in den Berichten naturgemäß viel weniger niedergeschlagen hat, als es dem Erleben entsprach. Viele Stimmen lauteten unisono, man könne sich vor lauter Schreck gar nicht äußern. So schrieb der Dichter Christoph Martin Wieland in einem Brief an seine alte Jugendliebe: »Ich scheine ruhig, weil ich schweige, weil die Zeit vorbei ist, wo reden etwas helfen konnte – aber nichts geholfen hat …« Goethe empfand offensichtlich ähnlich, wenn er äußerte: »Die Umwendung der Dinge steht einem noch zu nahe, alles was man sagt, ist unzulänglich oder unzuverlässig, und so schweigt man lieber oder nimmt sich zurück, als dass man spräche.« Solches sind private Äußerungen, wie es sie häufig gab, während der Öffentlichkeit gegenüber unter den Intellektuellen Sprachlosigkeit vorherrschte. Das entsetzte Schweigen der meisten Publizisten des Reiches sprach aber ebenso Bände, weil es ungewohnt war, unerhört – und unüberhörbar. Diese Zurückhaltung lässt sich leicht fehlinterpretieren, was Historiker denn auch taten.
    Zudem wirkte die Vergangenheitsbewältigung am Ende der bewegten Zeiten, als der Wiener Kongress nach Napoleons schließlicher Niederlage dem Kontinent wieder eine Ordnung gab, aber eben nicht die alten Verhältnisse wieder einsetzte, in dieser Richtung. Die Schmach des Zusammenbruchs der alten Ordnung und des Reiches vor Napoleon wurde unter den Teppich gekehrt, die Nachfolgestaaten betonten stattdessen das Positive: den Triumph über den Franzosenkaiser, zumal sie vom Ende des Reiches profitierten. Und alle versuchten, ganz unabhängig vom Ausmaß des Profits durch das napoleonische Gewitter, sich als dessen Opfer zu stilisieren, und missachteten das eigentliche Opfer komplett: das abgewickelte Reich. Der pragmatischen Geschichtsklitterung bediente sich schließlich ebenso die später vorherrschende nationale Geschichtsschreibung preußischer Prägung nach der Gründung eines weiteren Reiches, des Deutschen Kaiserreiches 1871. Denn mit dem Wiedererstarken Preußens wie Phönix aus der Asche nach dem blamablen Untergang ließ sich die »preußische Sendung« bei der Gründung des ersten deutschen Nationalstaats historisch noch besser überhöhen. In dieser Auffassung der Entwicklungen begann die jüngere ruhmreiche Geschichte mit den antinapoleonischen Befreiungskriegen und führte geradewegs zur Reichsgründung 1871, die den preußischen König zum deutschen Kaiser machte – nachdem in der »kleindeutschen« Lösung Österreich, einst Träger der Reichskrone, verabschiedet worden war. Diese tendenziöse Lesart übernahm die Geschichtsschreibung in weiten Teilen selbst dann noch, als auch das nächste Reich untergegangen war. Tatsächlich aber war es so, wie der Historiker Wolfgang Burgdorf vor einigen Jahren schrieb: »Anders als bisher angenommen, wurde das Ende des Reiches massenhaft als bestürzend erlebt.« Alles andere wäre auch gar zu merkwürdig gewesen, denn für die Menschen im vormaligen Heiligen Römischen Reich lag auf der Hand, dass sich damit ihre Lebensverhältnisse grundlegend veränderten, da nicht mehr galt, was eben noch selbstverständlich gewesen war.

Andreas Hofer war ein verdienter Freiheitsheld Tirols – IRRTUM!
    Volkshelden sind eine feine Sache. Man kann ihnen Denkmäler setzen, geschichtliche Abläufe personalisieren und mit ihnen den Geschichtsunterricht ein wenig packender gestalten. Man kann sie identitätsstiftend einsetzen, als Kronzeugen besserer Zeiten oder enttäuschter Hoffnungen nutzen. Allerdings werden Volkshelden gerne auch instrumentalisiert und dabei nicht selten missbraucht oder in ihrer historischen Substanz und Bedeutung entstellt.
    Für das Tiroler Freiheitsjahr 1809 steht wie kein Zweiter der Gastwirt, Wein- und Pferdehändler Andreas Hofer aus St. Leonhard im Südtiroler Passeiertal. Sein Gasthof, der Sandwirt, liegt südlich vom Dorfzentrum und ist heute ein Museum nebst Denkmal und Kapelle, gleichwohl aber noch immer Wirtshaus. Dort wurde Hofer, jüngstes Kind und erster Sohn des Gastwirtspaares, am 22. November 1767 geboren und tags darauf getauft. Es waren die mittleren Regierungsjahre der Kaiserin Maria Theresia, die Familie war seit einhundert Jahren im Besitz des Gasthofes. Noch halbwüchsig, verlor er nacheinander beide Eltern, übernahm im Jahr der Französischen Revolution den väterlichen Besitz und

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