Irrwege
soll das heißen?«
Marit fuhr zu ihm herum, der aufwallende Zorn
ließ ihre Tränen versiegen. »Es hat unser Volk Hunderte von Jahren gekostet, um
das Letzte Tor zu erreichen. Und sie standen dabei auf den Leibern derer, die
vor ihnen gefallen waren! Ein sterbender Vater zeigte seinem Sohn die nächste
Etappe des Wegs. Eine sterbende Mutter übergibt ihre Tochter jenen, die
weiterziehen. Ich entkam, und nun fängt alles wieder von vorne an.«
Ein trockenes Schluchzen entrang sich ihrer
Kehle. »All dem wieder die Stirn bieten müssen. Der Mühsal, den Gefahren… Und
keine Hoffnung auf Entkommen. Der Weg ist zu weit.«
Haplo hätte sie gerne getröstet, doch er wußte,
sie würde ihn schroff zurückweisen. Welchen Trost konnte er außerdem schon
bieten? Sie hatte die Wahrheit gesagt.
»Nun, kein Grund, hier herumzustehen. Je früher
wir die Sache in Angriff nehmen, desto schneller ist es vorbei.« Erst Marits
bitteres Lachen machte ihn auf den düsteren Doppelsinn seiner Worte aufmerksam.
»Ich wollte ohnehin ins Labyrinth zurückkehren«,
fuhr er fort. »Nur hatte ich vor, am Letzten Tor zu beginnen. Doch ich nehme
an, dieser Weg ist so gut wie der andere. Vielleicht besser. So ist
ausgeschlossen, daß ich etwas übersehe.«
»Du wolltest zurückkehren?« Marit starrte ihn
verwundert an. »Weshalb?« Ihre Augen wurden schmal. »Um Xar zu entkommen?«
»Nein«, antwortete Haplo. Er schaute sie nicht
an, sein Blick wanderte durch die Höhle, richtete sich auf das graue Licht in
der Ferne. »Um dich zu suchen. Und unsere Tochter.«
Sie schien etwas sagen zu wollen, ihre Lippen
öffneten sich, aber was immer es war, es blieb unausgesprochen. Sie schlug
die Augen nieder.
»Ich gehe jetzt, um unsere Tochter zu suchen«,
sagte Haplo. »Willst du mitkommen?«
Marit hob den Kopf, ihr Gesicht war bleich. »Ich
– ich weiß nicht. Ich muß nachdenken…«
»Marit, du hast keine andere Wahl. Es gibt
keinen anderen Weg in die Freiheit.«
»Behauptet der Sartan!« höhnte sie. »Du bist
vielleicht einfältig genug, ihm zu vertrauen. Ich nicht. Ich muß darüber
nachdenken.«
Sie las das Mitleid in Haplos Augen. Nun gut.
Sollte er glauben, sie hätte Angst. Sollte er glauben, sie brauchte Zeit, um
ihren Mut zu sammeln. Nichts konnte ihr gleichgültiger sein, als was er dachte.
Steif aufgerichtet, machte sie sich auf den
Rückweg zum Mausoleum. Bei Alfred angekommen, starrte sie ihn an, bis er mit
eingezogenem Kopf zur Seite wich und dabei über den Hund stolperte. Marit
schritt an ihm vorbei und verschwand in dem Felsengang.
»Wo will sie hin?« fragte Hugh Mordhand argwöhnisch.
»Vielleicht sollte einer von uns ihr folgen.«
»Laß sie, du verstehst das nicht. Wir beide
haben tausendmal dem Tod ins Auge gesehen, da drin. Zurückzugehen ist nicht
einfach. Wie steht’s mit dir?«
Der Assassine zuckte mit den Schultern.
»Entweder das oder hier vegetieren bis in alle Ewigkeit. He, Alfred, glaubst
du, ich könnte vor Langeweile sterben?«
»N-nein, leider wohl nicht«, erwiderte Alfred,
der glaubte, die Frage sei ernst gemeint.
Hugh lachte, ein bitteres, scharfes Lachen.
»Also komme ich mit. Was kann mir schon passieren?«
»Gut.« Haplos Stimmung hob sich. Fast begann er
zu glauben, daß sie eine Chance haben könnten. »Deine Fähigkeiten kommen uns
gut zupaß. Weißt du, als ich das erstemal in Betracht zog zurückzukehren,
dachte ich an dich als Gefährten. Seltsam, wie sich alles entwickelt hat. Was
für Waffen hast du?«
Hugh Mordhand setzte zu einer Antwort an, doch
Alfred kam ihm zuvor.
»Ah – das ist nicht wichtig«, äußerte er
kleinlaut.
»Was meinst du damit, das ist nicht wichtig?
Natürlich ist es wichtig…«
»Er ist unfähig zu töten«, erklärte Alfred.
Haplo glaubte erst, sich verhört zu haben, doch
je länger er darüber nachdachte, desto mehr Sinn ergab es – wenigstens vom
Standpunkt eines Sartan aus.
»Verstehst du?« fragte Alfred hoffnungsvoll.
Haplos Antwort bestand aus ein paar kurzen,
nicht wiederholbaren Ausdrücken.
»Wie schön, daß ihr euch einig seid«, knurrte
Hugh. »Ich für meinen Teil tappe im dunkeln.«
»Du kannst nicht getötet werden. Du kannst nicht
töten. Ganz einfach«, erklärte Haplo.
»Denkt darüber nach«, fügte Alfred mit
gedämpfter Stimme hinzu. »Habt Ihr irgend etwas getötet, auch nur einen Käfer,
seit Eurer… Rückkehr?«
Hugh starrte sie beide an, unter den schwarzen
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