Irrwege
mir nicht. Was hat er mit uns vor?«
»Sei vorsichtig«, warnte Paithan. »Er beobachtet
uns. Nein, nicht hinsehen. Er steht da oben, auf dem Balkon.«
»Was sollen wir tun?«
»Was können wir tun?« fragte Roland
gereizt. »Wir gehen zu seinem Fest. Wollt ihr ihn zornig machen? Vielleicht
wißt ihr nicht mehr, womit er diesen Tytanen eingeheizt hat, aber ich schon.
Außerdem, was kann schon passieren? Ich sage euch, wir sehen Gespenster!«
»Roland hat recht. Wenn der Magier uns etwas
antun wollte, dann brauchte er sich nicht die Mühe machen, uns zum Essen
einzuladen.«
»Wie er uns angesehen hat!« Rega war nicht
gewillt, sich so leicht beschwichtigen zu lassen. »Und er ist so aufdringlich.
Als gäbe es nichts Wichtigeres.«
»In seinem Alter und bei seinem Aussehen wird er
wahrscheinlich nicht zu vielen Festlichkeiten eingeladen«, vermutete Roland.
Paithan warf einen verstohlenen Blick auf die schwarzgewandete, reglose
Gestalt auf dem Balkon. »Ich denke, wir sollten gute Miene zum bösen Spiel
machen. Am besten gehen wir jetzt sofort auf die Suche nach Drugar und
Aleatha.«
»Wenn sie im Irrgarten stecken, wirst du
Schwierigkeiten haben, sie zu finden, von sofort ganz zu schweigen«,
prophezeite Rega.
Paithan stieß einen ärgerlichen Seufzer aus.
»Vielleicht solltet ihr zurückgehen, und ich halte nach Aleatha Ausschau…«
»O nein!« Roland legte Paithan nachdrücklich die
Hand auf die Schulter. »Wir gehen alle.«
»Na gut«, gab Paithan nach. »Ich schlage vor,
wir teilen uns…«
»Seht doch! Da kommt Aleatha!« Rega streckte die
Hand aus.
Die Plattform, auf der sie standen, beherrschte
den rückwärtigen Bezirk der Stadt. Aleatha bog eben um die Ecke eines Hauses,
der bunte Farbtupfer ihres Kleides war in all dem weißen Marmor nicht zu
übersehen.
»Gut. Dann fehlt nur noch Drugar. Und der alte
Knabe wird es verschmerzen können, wenn der Zwerg nicht mit am Tisch sitzt…«
»Etwas stimmt nicht mit ihr«, meinte Roland
plötzlich. »Aleatha…«
Er jagte die Stufen hinunter. Aleatha war die
Straße entlanggelaufen – Paithan versuchte sich zu erinnern, wann er seine
Schwester das letztemal laufen gesehen hatte –, doch jetzt blieb sie
stehen und lehnte sich gegen eine Mauer, die Hand auf die Brust gedrückt, als
hätte sie Schmerzen.
Nun auch beunruhigt, eilte Paithan hinter Roland
her, Rega folgte ihm.
»Aleatha«, sagte Roland, als er vor ihr stand.
Ihre Augen waren geschlossen. Beim Klang seiner
Stimme hob sie die Lider, schenkte ihm einen Blick unendlicher Dankbarkeit und
warf sich aufschluchzend in seine Arme.
Er hielt sie fest umschlungen. »Was ist
passiert? Was hast du?«
»Drugar!« stieß Aleatha hervor.
»Was hat er dir angetan?« Roland hielt sie von
sich ab. »Wenn er gewagt hat…«
»Nein, nein!« Aleatha schüttelte den Kopf. Die
aschblonden Haare bauschen sich um ihr Gesicht wie eine schimmernde, seidige
Wolke. Sie rang nach Atem. »Er ist verschwunden!«
»Verschwunden?« Paithan kam heran, Rega neben
sich. »Was meinst du damit, Thea? Wie konnte er verschwinden?«
»Ich weiß nicht!« Aleatha hob den Kopf, ihre
blauen Augen waren groß und verstört. »Eben war er noch da, neben mir. Und
dann…«
Sie schmiegte sich an Rolands Brust und begann
zu weinen. Er tätschelte ihr den Rücken und sah Paithan fragend an. »Wovon
redet sie?«
»Keine Ahnung.«
»Vergeßt Xar nicht«, warf Rega mit gedämpfter
Stimme ein. »Er beobachtet uns immer noch.«
»Waren es die Tytanen? Thea, reiß dich
zusammen!«
»Ich glaube nicht, daß sie dazu in der Lage
ist«, meinte Rega nüchtern.
Aleatha schluchzte haltlos. Sie wäre zu Boden
gesunken, hätte Roland sie nicht festgehalten.
»Ihr muß etwas Furchtbares zugestoßen sein.« Er
nahm sie behutsam auf die Arme. »Sie war doch bisher aus härterem Holz
geschnitzt. Sogar als der Drache uns verfolgte, hat sie sich tapfer gehalten.«
Paithan mußte ihm beipflichten. Auch ihm kam das
alles nicht geheuer vor. »Aber was sollen wir tun?«
Rega ergriff die Initiative. »Sie muß sich
beruhigen, damit sie uns erzählen kann, was vorgefallen ist. Bringt sie zurück
in den Turm. Wir gehen zu dieser albernen Feier und geben ihr ein Glas Wein.
Falls etwas Schlimmes passiert ist – wenn zum Beispiel die Tytanen in
die Stadt eingedrungen sind und Drugar entführt haben –, dann kann es nicht
schaden, wenn Fürst Xar darüber Bescheid weiß. Er ist vielleicht imstande, uns
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