Irrwege
Tätowierungen nur als
Tarnung. Nicht, um die Patryn zu täuschen, wohlgemerkt, wir wollten nur nicht
auffallen. Seither haben wir durch Heiraten untereinander die Fähigkeit erlangt,
die Magie zu nutzen – wenn auch nicht im selben Ausmaß wie ein reinblütiger
Patryn. Aber diesen Mangel machen wir durch unser Potential an Sartanmagie
wett.«
»Heiraten! Zwischen Patryn und Sartan! Aber –
aber der Haß?« Alfred dachte an den Fluß des Zorns. »Bestimmt hat man Euch
verfolgt…«
»Nein.« Vasu schüttelte den Kopf. »Sie wußten,
woher wir kamen.«
»Der Vortex!«
»Ja, wir kamen aus der Kammer unter dem Berg, wohin
man uns für unsere ketzerischen Überzeugungen verbannt hatte. Meine Vorfahren
stimmten gegen die Teilung, gegen die Schaffung dieses Gettos. Sie waren eine
Gefahr, eine Bedrohung der etablierten Ordnung. Wie auch Ihr, vermute ich
wenigstens. Obwohl es lange her ist, seit der letzte Sartan zu uns kam. Ich
hoffte, die Dinge hätten sich geändert.«
»Ihr seid doch immer noch hier, oder nicht?«
Alfred schob mit einem zitternden Finger sein Stück Brot auf dem Teller herum.
Vasu betrachtete ihn eine Weile schweigend. »Ich
nehme an, Erklärungen wären zu lang, zu umständlich.«
»Eigentlich nicht.« Alfred schloß müde die
Augen, öffnete sie dann wieder. »Wir schufen auch für uns selbst ein
Gefängnis, nicht anders als das eure. Unsere Kerkermauern waren Stolz, unsere
Gitterstäbe Furcht. Ein Entkommen war unmöglich, denn das hätte bedeutet, die
Mauern einzureißen, die verriegelten Tore zu öffnen. Dazu brachten wir den Mut
nicht auf. Zumindest wären wir in unserem Gefängnis sicher vor ihnen. Wir
blieben und suchten Zuflucht im Langen Schlaf. Als wir erwachten, hatte sich
alles verändert, nur wir nicht. Und nun ist unser Gefängnis der einzige Ort,
den wir kennen.«
»Mit Euch scheint es sich anders zu verhalten.«
»Nicht mein Verdienst.« Alfred lächelte matt.
»Ich traf einen Mann mit einem Hund.«
Vasu nickte. »Es wäre leicht für uns gewesen, als
wir uns hier wiederfanden, aufzugeben und zu sterben. Die Patryn waren es, die
uns am Leben hielten. Sie nahmen uns auf, akzeptierten uns, schützten uns vor
Gefahren, bis wir stark genug waren, uns selbst zu schützen.«
Alfred fing an zu begreifen. »Und es muß die
Idee eines Sartan gewesen sein, diese Stadt zu bauen.«
»Durchaus wahrscheinlich. Ein logischer Gedankengang
für die Sartan, die aus Städten kamen und das Leben in der Gemeinschaft
schätzten. Wir erkannten die Vorteile, die es bot, sich an einem Ort
anzusiedeln und ihn zu befestigen.
Schon in der alten Welt waren die Patryn
Einzelgänger. Die Familie war – und ist – ihnen das wichtigste. Doch im
Labyrinth wurden viele Familien ausgelöscht. Die Patryn mußten sich anpassen,
oder ihr Schicksal war besiegelt. Sie halfen sich, indem sie die Familienbindung
auf den Stamm ausdehnten. Die Patryn lernten von den Sartan die Wichtigkeit des
Zusammenschlusses zum besseren Schutz vor Feinden. Und die Sartan lernten von
den Patryn die Bedeutung einer intakten Familiengemeinschaft.«
»Das Dunkle in der Seele unserer beider Völker
hat uns hierhergeführt.« Alfred glühte vor Begeisterung. »Ihr habt das Beste
genommen und es benutzt, Stabilität zu schaffen, Frieden zu finden, inmitten
von Chaos und Gewalt.«
»Wollen wir hoffen«, meinte Vasu feierlich, »daß
das Gewonnene nicht zerstört wird.«
Alfred sank wieder in sich zusammen.
Vasu musterte ihn prüfend. »Die Eindringlinge
nennen dich den Drachenmagier.«
Jetzt geisterte ein Lächeln über Alfreds
Gesicht, er gestikulierte verlegen. »Ich weiß. Man hat mich schon einmal so
genannt. Ich weiß nicht, was der Name bedeutet.«
»Aber ich!«
Alfred schaute Vasu verdutzt an.
»Erzählt mir, womit Ihr den Titel verdient
habt.«
»Aber das ist es ja!« Alfred hob die Hände und
ließ sie wieder fallen. »Ich weiß es nicht. Ihr glaubt, ich halte mit etwas
hinter dem Berg oder will nicht helfen. Das stimmt nicht! Ich will helfen! Ich…
Laßt mich versuchen zu erklären. Um es kurz zu machen, ich erwachte aus meinem
Schlaf und war allein, meine Freunde, meine Familie – alle tot. Ich befand mich
auf der Welt in den Lüften, Arianus, einer von Nichtigen bewohnten Welt.«
Er hielt inne und schaute Vasu an, um zu sehen,
ob er verstand. Es hatte den Anschein, obgleich er nichts sagte.
Sein aufmerksames Schweigen ermutigte Alfred
fortzufahren.
»Ich war
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