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Irrwege

Titel: Irrwege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Weis , Tracy Hickman
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Verteidigung vorbringen, und man erwartete auch nichts
dergleichen. Er hielt den Blick auf den Gegenstand unter dem Tuch gerichtet.
Man konnte deutlich erkennen, was es war, der Staub zeichnete die Umrisse
nach – ein Dolch mit einer ungewöhnlich langen Klinge.
    »Leg die Hand darauf«, sagte Ciang und fügte
hinzu: »Sei unbesorgt«, als sie das Aufblitzen in Hughs Augen bemerkte.
    Hugh zögerte, die Hand in der Schwebe. Er hatte
keine Angst, aber es widerstrebte ihm, den Gegenstand zu berühren, wie es
einem widerstrebt, eine Schlange oder eine haarige Spinne anzufassen.
    Verflucht, es war nur ein Dolch (aber weshalb
mit einem schwarzen Tuch zugedeckt?). Kurz entschlossen strich er mit den
Fingerspitzen darüber, riß die Hand erschreckt zurück und starrte Ciang an.
    »Es hat sich bewegt!«
    Sie nickte gelassen. »Ein Pulsschlag. Wie bei
einem lebenden Wesen. Kaum fühlbar, aber stark genug, um den Staub von
Jahrhunderten abzuschütteln und die Netzweber zu verscheuchen. Trotzdem ist es
nicht lebendig, wie du gleich sehen wirst. Nicht lebendig, wie wir es
verstehen«, berichtigte sie sich.
    Sie zog das Tuch weg. Der Staub von den Rändern
flog auf; beide hielten die Luft an und hoben schützend die Arme vors Gesicht.
    Unter dem Tuch – ein gewöhnlicher Dolch.
Mordhand hatte bei weitem besser gearbeitete Waffen gesehen. Dieser hier war
primitiv, als hätte der halbwüchsige Sohn eines Dorf Schmiedes sein erstes
Lehrstück abgeliefert. Heft und Parierstange waren aus Eisen geschmiedet, die
Abdrücke der Hammerschläge waren deutlich zu erkennen.
    Die Klinge war glatt, vermutlich aus Stahl, denn
sie glänzte hell, im Gegensatz zum stumpfen Metall des Griffs. Anschließend
hatte man die beiden Teile zusammengelötet, nicht unbedingt fachmännisch. Das
einzig Bemerkenswerte an dieser Waffe waren die in die Klinge gravierten
seltsamen Zeichen. Auch wenn sie nicht genau mit dem Symbol auf Hughs Brust
übereinstimmten, die Ähnlichkeit war unverkennbar.
    »Runenmagie«, sagte Gang. Sie streckte die Hand
aus, hütete sich aber, die Klinge zu berühren.
    »Was für Eigenschaften hat das Ding?« erkundigte
sich Hugh, während er die Waffe mit einer Mischung aus Abscheu und Mißtrauen
beäugte.
    »Das wissen wir nicht.«
    Hugh hob fragend eine Augenbraue. Sie zuckte mit
den Schultern. »Der letzte Bruder, der den Dolch benutzte, starb.«
    »Ich kann verstehen, warum.« Hugh stieß ein Knurren
aus. »Leichtsinn, ein Wild mit einem Kinderspielzeug erlegen zu wollen.«
    Ciang schüttelte den Kopf. »Du verstehst nicht.«
Sie hob den Blick zu seinem Gesicht, und wieder stand das rätselhafte Funkeln
in ihren Augen. »Er starb vor Entsetzen.« Sie verstummte, schaute auf die Waffe
nieder und fügte beiläufig hinzu: »Ihm waren vier Arme gewachsen.«
    Hugh fiel die Kinnlade herunter. Mit einer
großen Willensanstrengung klappte er den Mund zu und schluckte.
    »Du glaubst mir nicht. Ich mache dir keinen
Vorwurf, mir ging es ebenso. Bis ich es mit eigenen Augen sah.« Ciang starrte
auf die Spinnweben, als wären sie eine Leiter zurück in die Vergangenheit. »Es
ist viele Zyklen her, als ich ›Arm‹ wurde. Der Dolch war von einem Elfenfürsten
auf uns überkommen, vor langer Zeit, als die Bruderschaft sich eben erst zu
formieren begann. Er wurde in diesem Arsenal aufbewahrt, zusammen mit einem
Vermächtnis, der Warnung vor einem Fluch. Ein Mensch, ein junger Heißsporn,
schlug die Warnung in den Wind. Er glaubte nicht an den Fluch. Er nahm die Waffe,
denn es steht geschrieben: ›Wer den Dolch zu meistern vermag, ist unbesiegbar.
Nicht einmal die Götter werden es wagen, gegen ihn aufzustehen.‹«
    Sie ließ Hugh nicht aus den Augen. »Natürlich«,
meinte sie, »war das in den Tagen, als es längst keine Götter mehr gab.«
    »Was hat sich zugetragen?« Hugh bemühte sich,
keine Skepsis in seinen Worten anklingen zu lassen. Immerhin war es Ciang,
mit der er sprach.
    »Ich bin nicht sicher. Der Bürge, der überlebte,
war nicht fähig, uns einen zusammenhängenden Bericht zu geben. Offenbar
attackierte der Junge sein Opfer mit dem Dolch, aber plötzlich war es kein
Dolch mehr, sondern ein Schwert – gewaltig, von einem eigenen Willen beseelt,
mit vielen Klingen. Zwei gewöhnliche Arme vermochten es nicht zu regieren. Dann
geschah es, daß zwei weitere Arme aus dem Rumpf des Jungen sprossen. Er
starrte auf seine vier Arme und stürzte zu Boden – getötet von Grauen und

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