Irrwege
gelingt, Haplo zu töten…«
»Nein!« Ciang ballte die Hand auf dem Buch zur
Faust. »Du hast gesagt, ›Wenn Haplo mich nicht tötet…‹ Geht es dir um den Tod
dieses Mannes oder um deinen eigenen?«
Hugh legte die Fingerspitzen an die Schläfen.
»Ich – war verwirrt. Deshalb.« Seine Stimme klang schroff. »Der Wein…«
»… spricht wahr, wie der Volksmund sagt.« Ciang
schüttelte den Kopf. »Nein, Hugh Mordhand. Du wirst nicht zu uns zurückkommen.«
»Werdet Ihr das Messer für mich herumgehen lassen?«
Ciang überlegte. »Nicht, bis du den Kontrakt
erfüllt hast. Unsere Ehre steht auf dem Spiel. Und deshalb wird die
Bruderschaft dir Hilfe gewähren, soweit es in unserer Macht steht.« Ein
seltsames Funkeln trat in ihre Augen. »Und wenn du es willst…«
Sorgsam klappte sie das Buch zu und legte es auf
einen Tisch neben ihrem Stuhl, von demselben Tisch nahm sie einen eisernen
Schlüssel an einem schwarzen Band. Sie streckte Hugh die Hand entgegen und
gestattete ihm, ihr aufzuhelfen, dann aber ging sie ohne Hilfe langsam und
aufrecht zu einer Tür in der hinteren Wand.
»Du findest, was du suchst, im Schwarzen
Koffer«, sagte sie.
Der Schwarze Koffer war eigentlich kein Koffer,
sondern ein Arsenal, ein Lager für Waffen – magische und andere. Magische
Waffen sind natürlich sehr kostbar, und es gibt diesbezüglich in der
Bruderschaft strenge Gesetze, auf deren Einhaltung unnachgiebig geachtet wird.
Ein Mitglied, das eine solche Waffe erwirbt oder herstellt, betrachtet sie
vielleicht als seinen persönlichen Besitz, ist jedoch verpflichtet, die
Bruderschaft über ihre Existenz sowie Beschaffenheit zu informieren. Die
Angaben werden in eine Kartei eingetragen, die jedem Mitglied der Bruderschaft
zur Verfügung steht.
Findet man dort eine Waffe beschrieben, die man
brauchen zu können glaubt, wendet man sich an den Besitzer, mit der Bitte, das
Gewünschte auszuleihen. Dem Besitzer steht es frei abzulehnen, was aber so gut
wie niemals vorkommt, schließlich ist es sehr wahrscheinlich, daß auch er sich
eines Tages in der Lage findet, auf den guten Willen eines Mitbruders oder
einer Mitschwester angewiesen zu sein. Wird die Waffe nicht zurückgegeben –
noch etwas, das so gut wie niemals vorkommt –, wird der Dieb geächtet, und das
Messer mit seinem Namen geht herum.
Beim Tod des Besitzers fällt die Waffe als Erbe
an die Bruderschaft. Handelt es sich um betagte Mitglieder, wie den Uralten,
die in die Festung heimkehren, um dort einen geruhsamen Lebensabend zu
verbringen, ist die Sache einfach. Im Falle solcher Mitglieder, die das
plötzliche und gewaltsame Ende finden, das als Berufsrisiko gilt, kann die
Requisition sich schwieriger gestalten.
Manche Waffen gingen unwiederbringlich verloren,
wenn zum Beispiel der Tote samt allem, was er mit sich führte, auf einem
Scheiterhaufen verbrannt oder in rechtschaffener Entrüstung vom Rand der
schwebenden Inseln in den Mahlstrom gestoßen wurde. Allerdings stehen diese
besonderen Waffen dermaßen hoch im Kurs, daß, sobald die Nachricht vom Ableben
des Besitzers sich herumgesprochen hat (bemerkenswert schnell), die
Bruderschaft nicht zögert zu handeln. Alles geschieht umsichtig und ohne
Aufhebens.
Sehr oft werden trauernde Angehörige vom plötzlichen
Auftauchen Fremder überrumpelt, die ins Haus eindringen (manchmal bevor der
Leichnam kalt ist) und es sogleich wieder verlassen, gewöhnlich unter Mitnahme
eines bestimmten Gegenstandes – des Schwarzen Koffers.
Um die Weitergabe der wertvollen Stücke zu
erleichtern, werden die Mitglieder der Bruderschaft angehalten, sie in einem
schmucklosen schwarzen Kasten aufzubewahren. Dieser Kasten erlangte
Berühmtheit als ›der schwarze Koffer‹. Ergo bürgerte sich auch für das Arsenal
in der Festung die Bezeichnung Schwarzer Koffer ein – mit großen Anfangsbuchstaben.
Stellt ein Mitglied Antrag auf die Benutzung
einer der Waffen im Schwarzen Koffer, muß er oder sie eine detaillierte
Begründung abgeben und eine Gebühr hinterlegen, dem Wert der Waffe angemessen.
Gang hat das letzte Wort darin, wer die Waffen erhält und auch welche Summe zu
zahlen ist.
Bei der Tür angekommen, steckte Ciang den
Schlüssel ins Schloß und drehte ihn herum.
Ein Klicken.
Sie umfaßte den Griff der schweren, eisernen Tür
und zog. Hugh hielt sich bereit, um zu helfen, falls sie darum bat, aber die
Tür schwang bei ihrer leichten Berührung geräuschlos auf.
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