Irrwege
wie er es noch nie
erlebt hatte. Er mußte an eine Kerzenflamme denken, ausgelöscht von einem
Atemhauch. Genauso kam es ihm vor, als hätte jemand mit einem Atemhauch die
Flamme seiner Magie ausgelöscht. Aber das konnte nicht sein.
»Haplo!« rief Jarre nochmals. »Komm und hol
deinen Hund, bevor er noch etwas anrichtet.«
Nicht zu ändern. Jeder in der Farbick schaute
her und lächelte – keine Möglichkeit mehr, unbemerkt zu beobachten. Haplo
kratzte sich verdrossen den Handrücken, ging zwischen den Nichtigen hindurch
und befahl den Hund zu sich.
Vom Tonfall seines Herrn gewarnt, daß er in
Ungnade gefallen war, sich aber im Grunde genommen keiner Schuld bewußt, kam
der Vierbeiner herangetrabt, setzte sich vor Haplo hin und hob
vergebungsheischend die Vorderpfote.
Dies Benehmen amüsierte die Honoratioren, die begeistert
Applaus spendeten.
In der Meinung, der Beifall gelte ihm, verneigte
Limbeck sich feierlich und ging dann weiter die Treppe hinunter. Haplo, von
der Menge vorwärtsgedrängt, blieb nichts anderes übrig, als sich der Menge
anzuschließen. Er warf noch einen raschen Blick über die Schulter, aber
nichts. Keine finstere Gestalt im Schatten der Statue. Niemand schenkte ihm
besondere Aufmerksamkeit.
Vielleicht hatte er sich das Ganze nur
eingebildet. Vielleicht war er von seiner Verletzung noch stärker geschwächt,
als er glaubte.
Nachdenklich folgte er Limbeck und Jarre; vor
ihnen führte die schimmernde Linie der Sartanrunen in das Gewirr der dunklen
Gänge.
Hugh Mordhand stand in den Schatten, mit dem Rücken
zu einer Wand, und sah zu, wie die Nichtigen die Treppe hinunter verschwanden.
Sobald der letzte in dem dunklen Schacht untergetaucht war, wollte er folgen –
lautlos, unsichtbar.
Er war höchst zufrieden.
»Man behauptet, die Magie eines Patryn warnt ihn
vor Gefahren«, hatte Ciang Hugh erklärt, »fast so, wie unser ›sechster Sinn‹
uns warnt, nur daß ihre Magie sehr viel höher entwickelt ist, viel
ausgeprägter. Die Runen, die in ihre Haut tätowiert sind, leuchten auf – nicht
nur eine Warnung, sondern auch ein Schutzschild.«
Ja, Hugh erinnerte sich schmerzlich, wie er im
Imperanon Haplo angegriffen hatte. Ein blauer Lichtschein war aufgeflammt, und
etwas wie ein Blitzschlag hatte ihn getroffen.
»Es ist logisch anzunehmen, daß die Waffe, um
den Patryn verletzen zu können, erst seine Magie außer Kraft setzen oder
überwinden muß. Ich schlage vor, daß du erst einen Versuch machst,
vorsichtshalber«, hatte Ciang ihm geraten. »Dann wirst du sehen, was
geschieht.«
Hugh befolgte den Rat. Am Morgen, als die Gruppe
der Honoratioren sich in der Farbick versammelte, war der Assassine mitten
unter ihnen. Er erspähte seine Beute sofort.
So, wie er Haplo kannte, vermutete Hugh, daß der
scheue, eigenbrötlerische Patryn sich im Hintergrund halten würde, im
schützenden Halbdunkel – was Hughs Absichten sehr entgegenkam.
Und wirklich. Haplo stand abseits, bei der
großen Statue, die die Nichtigen den Manger nannten. Aber der Hund war bei
ihm. Hugh fluchte stumm. Er hatte den Hund nicht vergessen, war aber
schlichtweg überrascht, ihn hier zu finden. Das letztemal war das Tier mit ihm
und Gram im Mittelreich gewesen. Kurz nachdem er Hugh das Leben gerettet hatte,
war er verschwunden. Weil der Assassine seinem Retter gegenüber für die
erwiesenen Gefallen keine sonderliche Dankbarkeit empfand, hatte er sich nicht
die Mühe gemacht, nach ihm zu suchen.
Er konnte sich nicht vorstellen, auf welche
Weise es ihm gelungen war, vom Mittel- ins Niederreich zu kommen, und es
interessierte ihn nur mäßig. Das Vieh war eine verdammte Plage. Wenn nötig,
mußte er es zuerst aus dem Weg schaffen. In der Zwischenzeit wollte er sehen,
wie dicht er an den Patryn herankommen konnte und ob der Todesdolch in
irgendeiner Weise reagierte.
Er hielt das Messer in den Falten seiner Tunika
verborgen, während er sich lautlos durch die Schatten bewegte. Die
Glimmerglampen unter der Decke hätten die Farbick taghell erleuchtet, aber seit
das Allüberall nicht mehr arbeitete, spendeten auch sie kein Licht mehr.
Mitgebrachte Öllampen und Fackeln vermochten nicht viel gegen die Dunkelheit in
dem weitläufigen Gebäude auszurichten. Es war leicht für Hugh Mordhand, noch
dazu im Tarnanzug der Unsichtbaren, Teil dieser Dunkelheit zu werden, mit ihr
zu verschmelzen.
Er pirschte sich lautlos an seine Beute an,
blieb in gebührendem Abstand
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